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Missbrauchsgutachten sorgt für „historische Erschütterung“ der katholischen Kirche
Frankfurter Rundschau
Ein vom Erzbistum München und Freising in Auftrag gegebenes Missbrauchsgutachten deckt eine „Bilanz des Schreckens“ auf - und belastet auch Papst Benedikt XVI.
München - Laut einem neuen Missbrauchsgutachten, das eine Münchner Anwaltskanzlei im Auftrag des Erzbistums München und Freising über die katholische Kirche erstellt hat, trägt der emeritierte Papst Benedikt XVI. eine „zumindest moralische Mitverantwortung“ an zahlreichen Missbrauchsfällen, die während dessen Amtszeit als Kardinal und Erzbischof von München und Freising nachweisbar sind.
Laut des Gutachtens sind allein in dem Bistum in Oberbayern zwischen 1945 und 2019 mindestens 497 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch geworden, 173 von 235 Kirchenbediensteten unter den mutmaßlichen Tätern seien Priester gewesen. Bei diesen Zahlen handle es sich jedoch um das so genannte Hellfeld: Die Ersteller:innen des Gutachtens von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) rechne mit einer deutlich höheren Dunkelziffer und sprechen im Gutachten von einer „Bilanz des Schreckens“. Der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, sprach in einer Stellungnahme von einer „historischen Erschütterung“ der katholischen Kirche.
Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. werfen die Autor:innen in insgesamt vier Fällen zwischen 1977 und 1982 Fehlverhalten vor. Dazu zählt auch der besonders schwere Fall eines Missbrauchstäters, den der damalige Kardinal „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ wissentlich in der Seelsorge eingesetzt habe. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe soll der spätere Papst unwahre Angaben gemacht haben.
In zwei dieser Fälle kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass der damalige Kardinal Joseph Ratzinger Priester, bei denen er „überwiegend wahrscheinlich“ von ihrer Missbrauchsvergangenheit wusste, nach Bayern geholt habe. Bei einem der beiden Priester handele es sich um einen Täter, der im Ausland rechtskräftig wegen Missbrauchs verurteilt worden war, im zweiten um den bekannten Fall eines Priesters aus Essen, der trotz Vorfällen in Nordrhein-Westfalen in Bayern wieder als Seelsorger mit Kindern und Jugendlichen arbeitete.
Besonders schwer wiegt der Vorwurf der Gutachter:innen, dass Ratzinger in Bezug auf die Fälle nicht die Wahrheit gesagt haben könnte. Dabei beziehen sie sich auf ein Sitzungsprotokoll, das nahelege, dass er - anders als er selbst behauptet - 1980 als Erzbischof von München sehr wohl bei dem heiklen Treffen dabei war, bei dem beschlossen wurde, dass einer der Priester nach Bayern übersiedeln soll.