
Mieko Kawakami: „Heaven“ – Leid ist nicht teilbar
Frankfurter Rundschau
Zwei 14-Jährige, die von Gleichaltrigen gemobbt werden, schließen prekäre Freundschaft in Mieko Kawakamis eindrucksvollem Debütroman „Heaven“.
Vor zwei Jahren, als ihr Roman „Brüste und Eier“ auf Deutsch erschien, konnte man die Japanerin Mieko Kawakami als eine Autorin kennenlernen, die mit ihrem Schreiben gern und sehr schwungvoll mitten ins Tabu zielt. Wie furchtlos sie dabei ist, beweist ihr Roman „Heaven“ nun ganz besonders eindrücklich.
In Japan erschien er bereits 2009, also ein Jahr nach der (später erst zum Roman ausgeweiteten) Kurzgeschichte „Brüste und Eier“, mit der Kawakami 2008 einen wichtigen Literaturpreis gewonnen hatte. „Heaven“ war ihr erster Roman, mit dem sie sich gleich an ein sehr schweres Thema wagte: Mobbing in der Schule. Das Ergebnis ist meisterhaft in seiner Lakonie und inspirierend in seinem immanent philosophischen Zugang zum Sujet.
Ein etwa 14-jähriger Ich-Erzähler, ein Achtklässler, führt durch die Geschichte, die keineswegs nur von Mobbing, sondern von vielem gleichzeitig handelt, vor allem von einer so prekären wie kostbaren Freundschaft. Sie beginnt damit, dass der Erzähler Briefe von einer anonymen Person bekommt, die ihm mitteilt, sie gehörten beide „zur selben Sorte“. Der Junge gerät in große Aufregung, hat er sich doch längst damit abgefunden, einsam zu sein. Er schielt auf einem Auge, hat dadurch Schwierigkeiten, sich in der Welt zurechtzufinden, und ist ein leichtes Opfer für die grausamen Jungen in der Schule, die sadistische Spielchen an ihm ausprobieren.
In seiner Einsamkeit ist ihm entgangen, dass es ein Mädchen gibt, das von den anderen Mädchen ebenso mies behandelt wird wie er selbst vom männlichen Teil der Klasse. Nun bekommt dieses Mädchen für ihn auf einmal einen Namen: Kojima. Sie ist die Briefschreiberin; und nach ihrem ersten Treffen sind die beiden Ausgestoßenen nicht mehr allein, sondern so etwas Ähnliches wie Freunde. – Was Freundschaft ist, und wie eine Beziehung funktionieren muss, um „Freundschaft“ genannt zu werden: Das sind impliziten Fragestellungen, die den Roman durchziehen.
Der Erzähler und Kojima schreiben sich Briefe, doch in der Schule tun sie weiterhin so, als hätten sie nichts miteinander zu tun, und sogar in den langen Sommerferien treffen sie sich nur ein einziges Mal. Was ist das für eine seltsame Freundschaft? fragt sich der Junge zwischendurch. Der Gedanke, dass die Beziehungen, die ihre Peiniger untereinander haben, womöglich noch viel weniger mit Freundschaft zu tun haben, wird ebenfalls flüchtig angedeutet; und nachdem die Gewalt einmal ausgeartet ist, analysiert Kojima überzeugend, dass die grausamen Jugendlichen in Wirklichkeit Angst vor allem haben, das anders ist. Das zu durchschauen scheint eine gute Sache zu sein, allerdings nützt es im Ernstfall wenig.