Michael Kunze über „Griechischer Wein“ und die Wahrheit
Frankfurter Rundschau
Wie schreibt man einen Hit? Als bewährter Texter von Udo Jürgens (1934-2014) weiß Michael Kunze aus Erfahrung, was für einen erfolgreichen Song wichtig ist.
Hamburg - Die im Udo-Jürgens-Hit „Griechischer Wein“ besungene Gastwirtschaft hat es dem Texter Michael Kunze zufolge wirklich gegeben. „Als ich in München studierte, lag auf meinem Heimweg am Rosenheimer Platz ein Wirtshaus, das ein Grieche übernommen hatte“, sagt der Autor Kunze (79) im „Spiegel“-Interview. „Besucht von Landsleuten, die bei uns für ihre Frauen und Kinder Geld verdienten.“ Ein Text sei gut, „wenn er eine Stimmung erzeugt und eine Geschichte erzählt“. Mit „Gefühlserregungs-Fertigteilen“, also Klischees, funktioniere das kaum, betont Kunze. „Warum war "Griechischer Wein" ein Erfolg? Weil das Lied eine Wahrheit enthält: die Sehnsucht der sogenannten Gastarbeiter nach ihrer Heimat.“
Die im Schlager beschriebene Szenerie („...aus der Jukebox erklang Musik, die fremd und südlich war/Als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein“) sei nicht genau so passiert, sagt Kunze: „Ich habe immer nur durchs Fenster geschaut, aber das Wirtshaus nie betreten.“
Als Texter von Udo Jürgens bezeichnet zu werden, sei kein Problem für ihn, sagt der Schlagertexter und erfolgreiche Musical-Autor Kunze („Elisabeth“, „Tanz der Vampire“). „Das war ich ja. Ich war sein Ghostwriter. Das Publikum denkt bis heute, jede Zeile stamme von Udo Jürgens selbst, darin besteht mein Talent.“ Ungerecht sei das nicht: „Der Redenschreiber von Olaf Scholz ist auch nicht beleidigt, wenn sein Chef mit dem glänzt, was er ihm notiert hat. Wenn ein Künstler auf die Bühne geht, tut er das nicht nur als Mensch, sondern auch als Produkt, hergestellt von Leuten, die nicht in Erscheinung treten.“
Intelligente Künstler wüssten, dass sie eine Rolle spielen. „Andere beziehen es allein auf ihre Person, wenn sie von 10.000 Zuschauern bejubelt werden.“ Kunze erklärt: „Professionelles Songwriting heißt: Ich überlege mir, was für ein Publikum dieser oder jener Sänger hat. Udo Jürgens hat die mittelständische Familie angesprochen, zu der mindestens ein Abiturient und ein gewisser Bildungsanspruch gehörte. Für Roland Kaiser schwärmte, jedenfalls in seiner Anfangszeit, eher die Kassiererin im Supermarkt. Ich konnte mich in alle hineinversetzen.“
Nicht jeder sei ein Bob Dylan, sagt Kunze. „Die wenigsten verfügen über diese Doppelbegabung. Herbert Grönemeyer hat sie, sagt aber selbst, wie schwer es ihm fällt, Texte zu schreiben.“ Ein Liedertext müsse sich „mit der Musik chemisch verbinden“, eine Ehe eingehen. „So, dass man beides nicht mehr trennen kann. Und daraus ein Hit wird, der den Zeitgeist spiegelt.“ dpa