
Messi statt Menschenrechte - Argentinien im WM-Fieber
DW
In Europa ist die Kritik an der WM in Katar allgegenwärtig. In Argentinien gibt es dagegen nur ein Thema: Holt Lionel Messi endlich seinen ersten WM-Titel?
Während in Deutschland Kneipe um Kneipe wegen der Menschenrechtssituation in Katar und den Korruptionsskandalen der FIFA beschließt, die WM in Katar zu boykottieren, kümmert sich ein argentinischer Anwalt zur gleichen Zeit um die wirklich wichtigen Dinge im Leben: Osvaldo Perello verklagt im Namen seines fußballbegeisterten Sohnes die Sticker-Firma Panini auf satte 90.000 Euro Schmerzensgeld.
Sein Vorwurf: das Unternehmen aus Italien handele böswillig und füge Kindern einen unermesslichen Schaden zu, weil es weiter Sammelalben unters Volk werfe, aber gleichzeitig Heftchen mit weniger Bildern verkaufe. Die begehrten "Figuritas" seien im ganzen Land kaum zu bekommen, Argentinien gleiche einer Panini-Wüste.
Jackpot bei den Sammelbildern in Argentinien ist, wie sollte es auch anders sein, das Konterfei von Superstar Lionel Messi. Auf dem Schwarzmarkt wechselt der normale Sticker für 20 Euro den Besitzer, die "Messi-Goldlegenden-Karte" war dagegen manchem Sammler stolze 400 Euro wert. Denn nicht jeder hatte so ein unverschämtes Glück wie der US-amerikanische Botschafter in Buenos Aires.
Messi statt Menschenrechte, Paninibilder statt Proteste, Begeisterung statt Boykott - ganz Argentinien befindet sich zurzeit in einem kollektiven Ausnahmezustand, der "Messimania". Mehr als 45 Millionen Menschen fiebern mit dem besten Fußballer der Welt mit, der sich bei seiner letzten Weltmeisterschaft endlich mit dem heiß ersehnten ersten WM-Titel krönen will. Und wer sollte die "Albiceleste", die seit 36 Spielen ungeschlagen ist, schon besiegen?
Nur ganz wenige wollen nicht in dieser riesigen Euphoriewelle am Río de la Plata mitschwimmen. Gabriel Salvia, der in seiner Kindheit Balljunge beim Traditionsklub Boca Juniors war und dort vor 40 Jahren der argentinischen Legende Diego Armando Maradona zujubelte, ist einer von ihnen. Er sagt: "Viele Argentinier interessiert allein der sportliche Erfolg, für sie ist die WM eine gelungene Abwechslung zum Alltag mit seiner wirtschaftlichen Misere und der hohen Inflation. Zudem gibt es in Argentinien kaum ein Bewusstsein dafür, dass die Menschenrechte universell gültig sind, und nicht nur hier."