
Meist hat man mehr, als man denkt
n-tv
Dies ist die Geschichte einer Veränderung: Wenn die Kinder ausziehen, wird sie ihre große Wohnung aufgeben und eine bezahlbare kleinere finden müssen. Außerdem muss sie sich mit Ende 50 fragen, ob sie gescheitert ist in einer Gesellschaft, die immer schneller, höher, weiter will, und nie zurück.
Ist sie eine Verliererin? Die Kinder ziehen aus, der Mann ist es längst, die Wohnung wird zu groß für eine einzelne Frau. Oder besser gesagt: Sie wird zu teuer. Zu teuer, weil der Unterhalt nun an die studierenden Kinder direkt geht und die Mutter Ende 50 feststellen muss: Was brauche ich wirklich, was bleibt, woran erinnere ich mich? An erstaunlich viel dann doch, zum Glück, denn man liest gern, wie Doris Knecht in "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" ihre Protagonistin Abschied vom alten Leben nehmen lässt.
Es ist zwar ein bisschen Jammern auf hohem Niveau, die Erzählerin muss weder fliehen noch plötzlich aus der Wohnung wegen Eigenbedarf oder Flut. Aber deswegen kann man ihre Verfassung auch so gut nachempfinden. Sie kann ganz in Ruhe ihre Sachen sortieren, ihr Leben. Es ist ein Ausmisten, auch im Kopf. Das tut ja bekanntlich gut. Es tut an manchen Stellen natürlich auch weh, denn man muss sich verabschieden, von Dingen, von Erinnerungen, von Gewohnheiten. Von einer Phase im Leben. Zum Beispiel von der Phase, als man als junge Familie in diese Wohnung einzog. Aber man darf sich auch verabschieden von der Phase, als das in der Ehe nicht mehr so doll geklappt hat und man zwischen den Scherben seines Lebens saß.
Doris Knecht lässt ihre Erzählerin recht analytisch an die Dinge herangehen. Sie wundert sich manchmal über sich selbst, was ihr einfällt, und was nicht. Was wichtig war, und was nicht mehr. Manchmal wirkt das Leben de Erzählerin fast ein bisschen zu ereignislos in unserer schnellen, lauten Welt, aber dann stellt man als Leserin doch auch wieder erleichtert fest, dass nicht jeden Tag irgendwas Dolles passieren kann oder muss. Dass das Leben manchmal einfach so dahin plätschert. "Ich wollte einmal ein heiteres Buch schreiben", sagt die österreichische Schriftstellerin dann auch zur Begründung ihres neuen Romans. Ein Satz, den man vielleicht nur im Kontext mit ihren anderen Büchern versteht, die ein bisschen unheiterer sind.