Meinung: Die Restitution von kolonialer Raubkunst ist nur der Anfang
DW
Was vor wenigen Jahren undenkbar schien, ist nun Realität: Westliche Museen restituieren Beutekunst an Afrika. Doch damit ist kolonialistisches Denken noch lange nicht Geschichte, meint Annabelle Steffes-Halmer.
34 Jahre. So lange dauerte die Kolonialherrschaft Deutschlands in Afrika. Nimmt man im Gegensatz dazu etwa Frankreich, das bis Anfang der 1960er-Jahre Kolonien in Afrika besaß, mag dieser Zeitraum vergleichsweise kurz erscheinen. Doch diese 34 Jahre haben gereicht, um die die Menschen in den besetzten Gebieten zu traumatisieren, den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, das Massaker an den Hereo und Nama im heutigen Namibia, zu begehen und gemeinsam mit den anderen Kolonialmächten einen ganzen Kontinent seines kulturellen Erbes zu berauben. Experten gehen davon aus, dass zwischen 80 und 90 Prozent von Afrikas Kulturerbe in europäischen Museen beziehungsweise deren Depots lagern.
Doch es geht hier um mehr als "nur" Kunst- und Alltagsgegenstände. Als die Europäer Afrikas Schätze plünderten, um damit in einem regelrechten Wettstreit ihre neuen Völkerkundemuseen zu füllen, verwüsteten sie ganze Städte und Dörfer und löschten das kollektive Gedächtnis ganzer Nationen aus.
Dass die Europäer nun beginnen, Objekte aus - wie es beschönigend heißt - "kolonialem Unrechtskontext" zurückzugeben, ist längst überfällig. Zumal die Diskussion nicht neu ist. Angestoßen von den Rückgabeforderungen afrikanischer Intellektueller, diskutierten Europas Politiker und Museumsfachleute schon vor 40 Jahren, wie mit diesem heiklen "Erbe" umzugehen sei. Afrikanische Vertreter waren zu diesen Verhandlungen nicht eingeladen.
Der Grundtenor damals: Die Stücke seien hierzulande besser aufgehoben, geschützt vor Umwelteinflüssen und Zerfall. In Afrika fehlten dazu die Möglichkeiten. Ein offen rassistischer Diskurs, der zu keinem Ergebnis führte. Wie auch?
Insofern spricht Bénédicte Savoy , eine der führenden Kunsthistorikerinnen im Bereich koloniale Raubkunst, heute völlig zu Recht von einer Zeitenwende: Im Interview mit der DW im April diesen Jahres vergleicht sie den Wandel in der Restitutionsdebatte sogar mit dem Fall der Berliner Mauer.