Meine Kanzler und ich
Süddeutsche Zeitung
Niemand wird als Regierungschef geboren: Schröder galt als Ehrgeizling, Merkel als Leichtgewicht und die halbe Nation hielt sich für klüger als Kohl. Unser Autor hat sie alle ins Amt wachsen sehen und erinnert sich.
In der Erinnerung verklärt sich vieles. Und besonders trifft dies zu, wenn man zum Beispiel mit Mitte zwanzig das erste Mal auf einem großen Parteitag ist und dann einen Mann reden hört, dessentwegen man zehn Jahre zuvor als Jugendlicher begonnen hatte, Politik interessant zu finden. Interessant? Nein, das war damals, 1972, mehr als nur Interesse. Als 15-Jähriger sah ich in Willy Brandt den idealen Kanzler: ein Anti-Nazi, einer, der so redete, dass man ihm glaubte, einer, der anders war als die meisten alten Männer, die damals Chefs waren, Chefs in der Schule, im Sportverein oder eben in der Politik, wie man sie jeden Abend in der "Tagesschau" sah. Mit 15 hält man Mittdreißiger für alt und Fünfziger für jenseits. Das war schon vor 50 Jahren so und ist auch heute nicht anders.More Related News