"Mein Vater hat mich angezeigt" - Denunziation von Kriegsgegnern in Russland
DW
In Russland kommt es immer häufiger vor, dass Kriegsgegner bei der Polizei gemeldet werden. Die DW hat mit Russen gesprochen, die von ihren Verwandten, Freunden, Kollegen und Nachbarn verraten wurden.
Kirill, 32, leitender IT-Systemanalytiker aus Moskau
Als die "Spezialoperation" begann, war ich entsetzt und ich verbreitete verschiedene Posts gegen den Krieg in der Ukraine. Einer meiner Verwandten, der in Wladimir Putin total verknallt ist, hat schnell darauf reagiert. Bei ihm zuhause hängt sogar ein Porträt von Putin - genau wie in Schulen und staatlichen Institutionen. Er hat mich mit allerlei Propagandavideos auf WhatsApp zugespamt, es war einfach unerträglich. Zuerst ignorierte ich das, dann widersprach ich ihm und schließlich packte ich alles ins Archiv.
Eines Tages klopfte die Polizei an meiner Tür. Sie sagte, es läge eine Anzeige gegen mich vor und ich solle mitkommen. Auf der Wache wurden mir Screenshots von meinem Instagram-Account sowie von meinem Schriftwechsel mit diesem Verwandten gezeigt. Dann fragten die Polizisten: "Ist das Ihr Verwandter?" Ich sagte: "Ja."
Im Gespräch erfuhr ich, es sei nicht das erste Mal, dass sich Angehörige über Menschen beschweren würden, die Kriegsgegner seien. Die Polizisten gaben zu, selbst Angst zu haben, in die Ukraine geschickt zu werden. Letztendlich ließen sie mich wieder gehen. Doch meine Beiträge in sozialen Netzwerken mache ich jetzt nur noch für Freunde zugänglich. Irgendwie ist mir seitdem unheimlich.
Ich habe mich nicht einmal so sehr über die Denunziation aufgeregt, sondern vielmehr darüber, dass die Menschen gar nicht bereit sind, deine Meinung zu akzeptieren, und sogar alles tun, um einen noch umzustimmen. Das ist das Schwierigste. Unter meinen Freunden und Kollegen kenne ich niemanden, der diese "Spezialoperation" unterstützt. Probleme gibt es oft mit Angehörigen, die in Behörden arbeiten, das Staatsfernsehen schauen und nur diese eine Sichtweise kennen.