Mein Europa: Der Bosnien-Beauftragte Christian Schmidt und das Problem hinter seiner Wut
DW
Der Hohe Repräsentant in Bosnien, Christian Schmidt, scheint für seinen Posten ungeeignet. Nicht wegen seines Wutausbruchs, sondern weil er demokratische Reformen nicht umsetzen kann oder will, meint Jasmin Mujanovic.
Am Mittwoch dieser Woche (17.08.2022) ging ein Videoclip mit dem Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, viral. Es zeigt einen Wutausbruch des ehemaligen deutschen Landwirtschaftsministers. Er erfolgte, nachdem eine Reporterin bei einer Pressekonferenz in der südostbosnischen Stadt Gorazde eine Frage gestellt hatte. Der Clip verbreitete sich in den sozialen Medien sofort nach seiner Veröffentlichung rasant. Doch was genau veranlasste Schmidt zu diesem Wutausbruch? Um das zu beantworten, muss man etwas ausholen - denn es geht um das Nachkriegsbosnien, eines der verworrensten politischen Regime der Welt.
Das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) ist ein Produkt des von den USA vermittelten Friedensabkommens von Dayton, das den Bosnienkrieg 1995 beendete. Ausgestattet ist es mit außerordentlichen Exekutivvollmachten, den so genannten Bonner Befugnissen. Diese erlauben es dem OHR, einseitig bosnische Gesetze umzuschreiben, Beamte zu entlassen und sogar die Staatssymbole des Landes zu ändern.
Am Ende des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre begannen sowohl die bosnische Führung als auch die internationale Gemeinschaft auf die Schließung des Amtes hinzuarbeiten. Der übergeordnete Gedanke war, dass Bosnien seine volle Souveränität einfordern würde und die internationale Gemeinschaft bereit wäre, ihre Aufsichtsfunktion über die Nachkriegsordnung des Landes aufzugeben.
Dazu kam es nicht. Als sich sowohl die USA als auch die EU von Bosnien abwandten, trat stattdessen die Unzulänglichkeit des verfassungsrechtlichen Rahmens von Dayton in den Vordergrund. Bosniens Verfassung - der Anhang IV des Dayton-Abkommens - sieht für das Land mit seinen 3,2 Millionen Menschen vierzehn verschiedene Regierungsebenen vor. Das Land ist verwaltungstechnisch fast ausschließlich nach ethnischen Gesichtspunkten aufgeteilt, fast jeder einzelne öffentliche und administrative Posten in dem ausgedehnten Regierungsapparat nach einem ethnischen Schlüssel besetzt. Praktisch alle Rechte auf demokratische Vertretung sind den so genannten "konstituierenden Völkern", also Bosniaken, Serben, Kroaten, vorbehalten. Minderheiten wie die Roma und die historische jüdische Gemeinschaft Bosniens sowie diejenigen, die sich einfach als Bosnier identifizieren, sind von vielen gewählten Ämtern, einschließlich des dreiköpfigen Staatspräsidiums, ausgeschlossen.
Mit diesem Instrumentarium in der Hand stürzten die etablierten nationalistischen Parteicliquen Bosnien schnell in einen permanenten Krisenkreislauf. Die führenden serbisch-nationalistischen und kroatisch-nationalistischen Blöcke des Landes haben ihre Bemühungen in den vergangenen Jahren zunehmend koordiniert. Mit maßgeblicher Unterstützung Serbiens, Russlands und Kroatiens ist es ihnen gelungen, alles, was auch nur annähernd an eine Staats- und Regierungsführung in Bosnien erinnert, fast vollständig zu unterbinden.