Marcelo verlässt Madrid: Er ist der verrückteste Linksverteidiger aller Zeiten
RTL
Der verrückte König von Real verlässt Madrid. Nach verdammt erfolgreichen 15,5 Jahren wird der Vertrag des 34-Jährigen nicht noch einmal verlängert. Dieser...
Eine Saison ohne einen großen Auftritt von Marcelo? Das geht nicht. Und weil das mit besonderen Dingen in der abgelaufenen Spielzeit auf dem Feld nicht mehr gelingen wollte, hatte sich brasilianischen Außenverteidiger die großartigen Momente für die Titelfeiern von Real Madrid aufgehoben. Nach der Meisterparty-Fahrt im Bus durch die spanische Hauptstadt legte Kapitän Marcelo der Statue der griechischen Königin Kybele der Tradition folgend die Vereinsfahne um den Hals und den Schal um den Kopf. Der Brasilianer garnierte seine Zeremonie mit einem Kuss auf die Wange von "La Cibeles". Von König zu Königin. Vier Wochen später tanzte er nach dem Champions-League-Triumph mit dem Henkelpott auf dem Kopf und wiederholte das Zeremoniell. Ein letztes Mal.
Der verrückte König von Real verlässt Madrid. Nach verdammt erfolgreichen 15,5 Jahren wird der Vertrag des 34-Jährigen nicht noch einmal verlängert. Dieser besonderen Mannschaft, die seit Jahren jedem Abgesang spottet, bricht der nächste Pfeiler weg. Seine Funktion als Stütze hatte Marcelo indes längst eingebüßt, für die Folklore und das gute Gefühl war der Linksverteidiger allerdings immer noch wichtig. Und als Ratgeber für Trainer Carlo Ancelotti. Im Halbfinal-Rückspiel gegen Manchester City scharten sich der Brasilianer sowie die Legenden Toni Kroos und Luka Modric um den lässigen Italiener, um sich mit ihm zu besprechen, wie das Wunder gegen Manchester City gelingen könne. Was auch immer sie ausgeheckt hatten, es funktionierte.
Wie so vieles in der ganz besonderen Karriere von Marcelo funktioniert hatte. Sechs Mal gewann er mit Madrid die Meisterschaft. Beeindruckend. Fünf Mal holten sie gemeinsam den Henkelpott. Noch beeindruckender. Und Marcelo war oft mittendrin. Ein ungewöhnlicher Protagonist. Denn der Brasilianer war ein Linksverteidiger, der seine Schwächen beim Verteidigen der linken Seite hatte. Und trotzdem galt er in den 2010er-Jahren als bester Mann auf seiner Position. "Ich kann sagen, dass ich mit dem besten Linksverteidiger aller Zeiten gespielt habe", twitterte Toni Kroos zum Abschied des Brasilianers an diesem Montag.
Der deutsche Weltmeister stimmte mit seiner Hymne in einen königlichen Chor ein. "Mehr als ein Teamkollege, ein Bruder, den mir der Fußball geschenkt hat. Auf und neben den Feldern, einer der größten Stars, mit dem ich das Vergnügen hatte, eine Umkleidekabine zu teilen", schwärmte etwa Madrids ehemaliger Superstar Cristiano Ronaldo. Casemiro, mit dem Marcelo in der Seleção zusammengespielt hatte, fasste seine große Bewunderung bei Twitter mit den Worten: "Bruder, Kapitän, Legende - Danke für alles" zusammen. Torwart Thibaut Courtois, der Titan aus dem Königsklassen-Finale, schrieb: "Du bist eine Legende von Real Madrid und des Fußballs!" Und Sergio Ramos (Paris St. Germain), an dessen Seite er viele Fußballschlachten bestritten und gewonnen hatte, verabschiedete Marcelo mit den Twitter-Worten: "Bruder, du verabschiedest dich heute, aber dein Vermächtnis ist ewig. Herzlichen Glückwunsch zum Erreichen des Unmöglichen."
Marcelo hatte die Fußball-Welt verzaubert. Mit seiner ganz eigenen Interpretation des Linksverteidigers. Er war stets mehr Flügelstürmer als Abwehrmann. Er war ein cleverer Balldieb, aber allzu oft viel zu nachlässig in seiner Begeisterung für die Wege nach vorne. Die indes trat er mit einer grenzenlosen Euphorie an. Mit seinem Tempo, seinen Dribblings, seinem Mut, seiner Freude an kleinen Tricksereien, seiner außergewöhnlichen Ballbehandlung, seinen physikalisch kaum zu erklärenden Flanken und seinem kraftvollen Schuss. An der Seite von offensiven Ikonen wie Ronaldo, wie Karim Benzema und manchmal auch Gareth Bale war er eine außergewöhnliche Waffe. Eine, die immer lächelte. So wirkte es jedenfalls, wenn er sein Glück im Stürmen und Drängen suchte.
Die Zeit von Marcelo bei den Königlichen begann am 1. Januar 2007. Damals standen noch Legenden wie Fabio Cannavaro, David Beckham, Raul, Ruud van Nistelrooy und Roberto Carlos bei Madrid auf dem Feld. Und jenen Roberto Carlos, diese Linksverteidiger-Wucht, die einst mit 202 km/h den Weltrekord für den härtesten Schuss hielt (abgelöst von Hertha-Ikone Ronny mit 212 km/h), sollte Marcelo beerben. Und das tat er. Mit 38 Toren und 103 (!) Vorlagen in 545 Spielen für den spanischen Großmacht-Klub. Mit seinem Spiel, das er als Kind in Rio de Janeiro auf so spezielle Weise gelernt hatte. Im Futsal, einer besonderen Fußball-Variante. Marcelo Teixeira, der Sportdirektor von Marcelos Heimatklub Fluminense, sagte der "Süddeutschen Zeitung" vor ein paar Jahren: "Hier hat Marcelo fast alles gelernt, was er kann."
Futsal ist die Basis der Ausbildung. Mit 13 wechseln die meisten zum klassischen Fußball. "Marcelo aber", sagte Teixeira, "war auf dem Kleinfeld so überragend, dass er erst mit 15 umgeschult wurde." In seinem Verständnis war Marcelo ein Spielmacher, ein Zehner. Beim ersten Training auf dem großen Platz trug er ein Trikot mit der entsprechenden Rückennummer. Nach der Einheit kam der Trainer dann zu Teixeira und sagte: "Das ist einer der Besten, die wir je hatten. Aber ich glaube nicht, dass er ein Mittelfeldspieler ist. Wir sollten ihn auf links stellen." Ab diesem Moment war Marcelo ein Linksverteidiger. Ein stürmender. Ein ungewöhnlicher. Ein erfolgreicher.
Jetzt ist er einer auf Vereinssuche. "Ich habe noch nicht über einen Rücktritt nachgedacht. Ich denke, ich kann immer noch spielen", sagte der 34-Jährige auf einer tränenreichen Abschiedszeremonie am Montag und erinnerte sich dabei auch an seine Anfänge. "Als ich bei Madrid unterschrieben habe, dachte ich, dass ich ganz nach oben kommen könnte, und jetzt bin ich der Spieler mit den meisten Titeln in der Geschichte des Vereins", sagte Marcelo: "Es ist kein Abschied, ich habe nicht das Gefühl, dass ich Madrid verlasse. Wenn Sie mir kein Ticket geben, wird es Ärger geben." Er sei unersetzlich, schwärmte Klubboss Florentino Perez, mit dem er (Marcelo) übereingekommen war, dass es besser sei, wenn er jetzt ausscheide. Eigentlich wäre er gerne noch länger bei Real geblieben. Nun aber geht er. Mit einem Lächeln. (tno)