Männer, die über Männer schreiben, die über Männer schreiben
Frankfurter Rundschau
Pädophilie und Vergewaltigung werden in der Literatur meist aus cis-männlicher Perspektive dargestellt. Der Widerstand dagegen ist verständlich - greift aber zu kurz. Ein Plädoyer für kritisches Denken von Alexander Graeff
Weshalb hatte nie ein Leser diese Stellen moniert?“, fragt Alexander Sowtschick in Walter Kempowskis Roman „Hundstage“ verwundert. Der sechzigjährige Schriftsteller bezieht diese Frage auf seinen Roman „Wolkenjagd“, in dem es um die Liebe eines „alten Mannes zu einem kleinen Mädchen“ geht.
Walter Kempowskis Roman „Hundstage“ ist erstmals 1988 erschienen. Die Satire handelt von Alexander Sowtschick, einem konservativen Schriftsteller, der sich selbst als weltoffen und liberal empfindet. Sowtschicks Ehefrau Marianne, die ebenso wie ihr Mann zu chauvinistischen und rassistischen Ausdrucksweisen neigt, ist im Sommer allein in den Urlaub gefahren. Versorgt mit vorgekochtem Essen seiner Frau bleibt Sowtschick also in der Villa allein zurück, um sich seinem neuen Romanmanuskript widmen zu können. So richtig will das Schreiben aber nicht gelingen, vielmehr steigert er sich in sexuelle Wunschvorstellungen hinein, die er bald schon nicht mehr bloß an den minderjährigen Nachbarmädchen Sabine und Rita („seinen Pferdemädchen“) sowie Erika ausleben kann. Er sucht sich eine Haushaltshilfe und bekommt über Umwege die Medizinstudentin Adelheid empfohlen. Adelheid kann den Ferienjob bei dem berühmten Schriftsteller allerdings nur annehmen, wenn sie ihre jüngere Schwester Gabriele mitbringen darf. Ein Traum wird wahr für Sowtschick: Einen Sommer lang umgeben zu sein von fünf Mädchen im Alter von 12 bis 20 Jahren.
Auf über 400 Seiten folgt Sowtschick den Mädchen auf Schritt und Tritt und geht seiner „Neigung“ nach, die er bereits in „Wolkenjagd“ literarisch verarbeitet hat. „Die knospende Schönheit, die es nicht nötig hat, sich herauszuputzen, die sich rüde geben kann und unvermittelt: Das war es, was ihn an kleinen Mädchen so entzückte“. Vom Dachfenster aus beobachtet er die Mädchen mit dem Opernglas, fotografiert sie im Garten beim Sonnenbaden, rauft mit den jüngeren, stiehlt sich in ihre Zimmer, liest die Tagebücher der älteren, schnuppert an Unterwäsche und Schlafanzügen und betatscht sie, wo und wie es ihm nur irgendwie möglich ist.
Die einzige Unterbrechung dieses Verhaltens entsteht dadurch, dass bald eines der Mädchen, Erika, tot in einem Wassergraben gefunden wird und der Schriftsteller wegen seiner, in der Nachbarschaft durchaus bekannten „Neigungen“ verdächtigt wird. Dabei versucht Sowtschick doch bloß in der hochsommerlichen Periode der Hundstage einen neuen Roman mit dem Arbeitstitel Winterreise zu schreiben, womit nur der hartnäckige Mythos des Schriftstellers als Romanheld zementiert wird.
Literatursoziologisch betrachtet trägt „Hundstage“ zur Normalisierung von Objektifizierung, Misogynie und Pädophilie bei. Dass es sich bei dem Roman um eine Satire handelt, hilft – entgegen landläufiger Theorien über satirische Schreibweisen – dabei in keinster Weise, die Normalisierung zu durchbrechen und die im Text verhandelten sozialen Normen zu hinterfragen. Ganz im Gegenteil, der formale Umgang mit den problematischen Inhalten, die gewählte Schenkelklopfer-Sprache und die Erzählhaltung entsprechen einem Muster, wie es Misogynie und Pädophilie als wiederkehrende Themen in der Literatur über cis-männliche Körper durchdringt. Dazu gesellt sich ein jovialer Disclaimer, der auch dieser Tage beliebt zu sein scheint: Problematische soziale Machtverhältnisse, Mikroaggressionen und Diskriminierungen werden durch die Kennzeichnung als Satire oder „bewusste Übertreibung“ heruntergespielt, lächerlich gemacht und legitimieren damit bloß die Gewalt der Privilegierten über die Marginalisierten. Diese Interpretation macht Hundstage topaktuell.