Liebe ohne Fortpflanzung
Süddeutsche Zeitung
Die Berlinale beginnt mit der Fassbinder-Hommage "Peter von Kant" von François Ozon. Ist das der richtige Film für das größte deutsche Festival mitten im Omikron-Sturm?
Die Frage, ob François Ozons Film "Peter von Kant" das richtige Werk ist, um die Berlinale zu eröffnen, hat sich spätestens mit dem Auftritt von Hanna Schygulla vorerst erübrigt. Sie spielt Rosemarie, die Mutter des unglücklich liebenden Großregisseurs Peter von Kant. Aber weil der Film, wie es im Vorspann heißt, nicht nur eine "freie Adaption" von Rainer Werner Fassbinders Drama "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972) ist, in dem Schygulla mitspielte, sondern vielmehr als ein Film nach Fassbinder ein Film über Fassbinder, begrüßt das Publikum der Voraufführung den Auftritt der Fassbinder-Diva Schygulla mit einem Ausruf des Respekts und der Rührung.
Diese 72. Filmfestspiele wurden ersehnt und verteidigt wie kaum je zuvor, unter Corona-Gesichtspunkten sind sie begreiflicherweise umstritten. In diesen Diskussionen bietet die Wiederbegegnung mit den Großen der Filmgeschichte Trost und Halt. Zumal Ozons Film eine so bedingungslose Liebeserklärung an Fassbinder und den deutschen Film ist, ja, an Deutschland überhaupt, dass es fast fetischhafte Züge annimmt. Wie Fassbinders Film spielt auch dieser in Köln im Jahr 1972. Peter von Kant trägt Lederhose, liest den Stern und sagt "Prost". Vom Plattenspieler kommen deutsche Schlager. Und irgendwann singt die Schygulla "Schlaf, Kindchen, schlaf".
Regisseur François Ozon bei der Eröffnung der Berlinale am Donnerstag. Er ist Stammgast beim Festival.
Aus dem Theaterstück einer Modemacherin (Margit Carstensen), die sich in eine jüngere Frau (Schygulla) verliebt, verlassen wird, und erkennt, dass sie selbst immer nur besitzen wollte, hat Ozon die Geschichte des Regisseurs Peter von Kant (Denis Ménochet) gemacht, der sich in den arabischstämmigen Amir (Khalil Gharbia) verliebt, verlassen wird und erkennt, dass es sie nicht gibt, die "schöne Liebe". Jedenfalls nicht im richtigen Leben. Am Ende sitzt der Verlassene in Tränen aufgelöst - die Männer weinen viel in diesem Film - neben dem Filmprojektor und schaut sich den schönen Verflossenen auf der Leinwand an. "Die schöne reine Liebe ohne Fortpflanzung", von der Peter von Kant träumt, gibt es natürlich doch - im Kino.
Mehr noch: In einer Szene drängt sich der Verdacht auf, dass die Kamera sogar den besseren Sex bietet. Amir erzählt von seinen Eltern, von dem Vater, der die Mutter und sich selbst umgebracht hat, weil er nach seiner Entlassung keinen Platz mehr für sich in der Welt sah. Man sieht, wie schwer es ihm fällt, darüber zu reden. Anfangs lässt Peter ihn von seinem Diener Karl (Stefan Crepon) filmen, der sich von seinem Herrn lustvoll schlecht behandeln lässt. Aber dann reißt er ihm die Kamera aus der Hand und dreht Amir selbst. Es ist ein Akt der Entblößung, ja der Penetration.