
Licht aus, ESC an, Luftalarm nach dem Sieg
n-tv
Es fühlte sich surreal an, den Eurovision Song Contest im Krieg zu schauen. So musste der ukrainische ESC-Kommentator von einem Keller aus moderieren. Aber das Ergebnis des Televotings hat vermutlich alle Ukrainer wirklich berührt.
Normalerweise ist der Eurovision Song Contest in der Ukraine eine Institution. Zwar gehört es wie in Deutschland zum guten Ton, auf die Qualität des Wettbewerbs zu schimpfen. Dennoch wird das ESC-Finale mit großer Spannung geschaut, oft in Bars oder auf Privatpartys. Schließlich schneidet die Ukraine in der Regel recht erfolgreich ab - viel erfolgreicher als etwa Deutschland. Schon der nationale Vorentscheid ist seit Jahren ein Kultevent. Für die ukrainischen Top-Acts ist es daher oft gar nicht das absolute Ziel, zum ESC zu fahren, wobei dies natürlich wichtig ist, sondern sich beim Vorentscheid zu promoten.
Auch in diesem Jahr hat der Vorentscheid, der im Februar kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges stattfand, für musikalische und politische Schlagzeilen gesorgt. Denn eigentlich hätte nicht Kalush Orchestra, der Ethno-Ableger der erfolgreichen Rap-Band Kalush, nach Turin fahren sollen, sondern die ebenfalls beliebte junge Rapperin Alina Pash. Bei dieser stellte sich allerdings heraus, dass sie nach der russischen Annexion der Krim via Russland dorthin gefahren war, was durch die ukrainische Gesetzgebung verboten ist. Pash wurde disqualifiziert, Kalush Orchestra rückte auf. In der Folge diskutierten die Ukrainer im Internet darüber, ob das Lied von Pash oder das von Kalush Orchestra besser ist. Die Meinungen waren gespalten. Dann kam der Krieg.
Obwohl längst klar war, dass die Ukraine Favorit des diesjährigen ESC ist, stand der Liederwettbewerb noch vor dem ersten Halbfinale gewissermaßen im Schatten nicht nur des Leids der ukrainischen Bevölkerung, wobei das selbstverständlich das Allerwichtigste ist, sondern auch anderer Events. Mal kam Angelina Jolie nach Lwiw, mal gaben Bono und The Edge von U2 ein improvisiertes Konzert in der Kiewer U-Bahn. Die Reisen der ausländischen Politiker werden von der Bevölkerung durchaus registriert, aber sie sind so zahlreich, dass es nicht schwer ist, den Überblick zu verlieren. Spätestens seit der soliden Perfomance von Kalush Orchestra im Halbfinale stieg die Spannung - und auch die Erwartungshaltung an die erst 2019 gegründete Rap-Band, die bereits vor dem ESC sehr erfolgreich wurde und maßgeblich zur Verdrängung des russischen Rap aus den ukrainischen Charts beiträgt.