
Leonid Krawtschuk - Totengräber der Sowjetunion
DW
Er war sowjetischer Apparatschik und erster Präsident der postsowjetischen Ukraine. Leonid Krawtschuk machte vieles falsch und war doch ein Glücksfall für sein Land. Nun ist er mit 88 Jahren gestorben.
Jedes Land hat seine Nummer eins - einen Präsidenten, der ganz am Anfang stand. Für die Ukraine war es Leonid Krawtschuk. Der Zufall wollte es so, dass ausgerechnet ein für Ideologie und Propaganda zuständiger Apparatschik im ukrainischen Schicksalsjahr 1991 die zweitgrößte Sowjetrepublik in die Unabhängigkeit von Moskau führte. Krawtschuk trug dazu bei, dass das kommunistische Reich seit über 30 Jahren nicht mehr existiert. Nun ist er nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren gestorben, wie ukrainische Medien unter Berufung auf die Familie des Politikers berichteten.
Die Ukraine hat ihrem ersten Präsidenten viel zu verdanken, auch wenn sein Erbe im eigenen Land umstritten ist. Vor allem Krawtschuks Grundsatzentscheidung, Anfang der 1990er Jahre das von der Sowjetunion geerbte gewaltige Atomwaffenarsenal, damals das drittgrößte der Welt, aufzugeben, wurde ihm besonders nach der Krim-Annexion und nun, im Angesicht des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, als sein größter Fehler vorgeworfen. Zu Unrecht, denn die damals politisch und wirtschaftlich schwache Ukraine konnte dem Druck des Westens und Russlands kaum standhalten.
In einem DW-Interview beschrieb Krawtschuk sein Land als einen "Affen mit einer Granate". Die Verantwortung und die Kosten der Atomwaffen seien für Kiew zu groß gewesen und der rote Knopf in Moskau geblieben. Krawtschuk tat das Richtige. Natürlich hätte er bessere Sicherheitsgarantien aushandeln müssen, allerdings konnte sich damals keiner vorstellen, dass Russland einst Krieg gegen die Ukraine führen würde.
Auch der traurige Ruf der Ukraine eines Champions der verpassten Chancen und Korruption hat seine Wurzeln in der Amtszeit von Krawtschuk. Die Kritik ist berechtigt. Krawtschuk machte Vieles falsch, allein die Pleite der Schwarzmeer-Reederei, mit hunderten in Odessa stationierten Kreuzfahrtschiffen, ist ein Schandfleck in seiner Biografie. Doch auch seine Verbindungen zu Oligarchen und sein umstrittener Einsatz für prorussische Kräfte nach seiner Amtszeit ändern nichts daran: Seine Präsidentschaft war in der Rückschau ein Glückfall für sein Land.
Der 1934 im damaligen Polen und der heutigen Westukraine als Bauernsohn geborene Krawtschuk machte Karriere in der Kommunistischen Partei. In den letzten Jahren der Sowjetunion stieg der einstige Propagandadozent in die obersten Zirkel der Macht auf - bis zum Politbüro, dem zentralen Machtorgan, der sowjetischen Ukraine. Er leitete die für Ideologie zuständige Abteilung.