Leid im Ukraine-Krieg darf Blick auf Realität nicht verstellen: Aufrüstung ist nicht die Antwort
Frankfurter Rundschau
Durch militärische Stärke lässt sich der Frieden nicht sichern. Auch das zeigt Putins Krieg in der Ukraine. Der Gastbeitrag.
Der Überfall der Putin-Armee auf die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Diejenigen, die ihn befehlen und verantworten, machen sich eines Verbrechens schuldig. Die militärische Aggression muss umgehend eingestellt werden. Harte Sanktionen gegen den Aggressor sowie Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und der zivilgesellschaftlichen Antikriegsbewegung in Russland sind Pflicht.
Kanzler Olaf Scholz nutzte die Gunst der Stunde jedoch auf eigene Art. Ohne öffentliche Debatte konfrontiert er die Gesellschaft mit einem gigantischen Aufrüstungsplan. Neben einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das im Grundgesetz verankert werden soll, kündigt er Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Landesverteidigung an. Der Rüstungsetat von 52,8 Milliarden US-Dollar (2020) stiege dadurch auf über 70 Milliarden.
Der Rüstungscoup gelang. Aber markiert er nicht zugleich den Rückfall in die Doktrin der Friedenssicherung durch militärische Stärke, die gerade ihr historisches Scheitern erlebt? Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri verfügt der Aggressor Russland über einen jährlichen Rüstungshaushalt von knapp 62 Milliarden US-Dollar.
Allein die Rüstungsausgaben der Nato-Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich beliefen sich 2020 auf gut 165 Milliarden Dollar. Durch Ausgaben der Führungsmacht USA von 778 Milliarden addieren sich die Mittel auf 943 Milliarden. Sie überflügeln die russischen um das Fünfzehnfache. Hat diese Überlegenheit der Nato die Welt wirklich sicherer gemacht?
Eine Positionierung zum Ukraine-Krieg kann ohne seine Einordnung in die tektonischen Verschiebungen im globalen System nicht gelingen. Seit geraumer Zeit erleben wir den Konflikt um die Neuaufteilung der geopolitischen Machtsphären.