"Laufen in massives demokratisches Defizit"
ZDF
Meinungsfreiheit hat Grenzen. Das hat Karlsruhe auch Grünen-Politikerin Künast bescheinigt. Im ZDF erklärt sie mehr zur erfolgreichen Klage.
Das Bundesverfassungsgericht stärkt Politikern wie der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast im Kampf gegen Beschimpfungen im Netz den Rücken. Die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben einer Verfassungsbeschwerde Künasts statt und hoben mehrere Entscheidungen der Berliner Zivilgerichte auf. Diese hatten verschiedene Hasskommentare auf Facebook nicht als Beleidigungen gewertet. Das verletze die Klägerin in ihrer persönlichen Ehre, teilte jetzt das höchste Gericht mit.
Bei ZDF heute live äußerte sich Renate Künast zu...
"Ich weiß ja, dass das der kommunikative Trick ist. Also man will eigentlich Hass, üble Nachrede, Verleumdung verbreiten, Falschzitate erfinden und verbreiten. Und dann tun die so, als ginge es dabei um Meinungsfreiheit. Da geht es ja nicht um, ich nehme mal ein anderes Wort, Machtkritik, das hat das Bundesverfassungsgericht auch benutzt.
Und wir wissen ja alle, dass es Szenen gibt, bis hin zu der Partei AfD, die alle verbunden sind, die das Geschäft systematisch, ich sage auch orchestriert betreiben, damit Menschen sich zurückziehen. 63 Prozent der Frauen in diesem Land sagen bei Umfragen, sie würden ihre politische Meinung oder Auffassung zu bestimmten Dingen gar nicht mehr äußern, weil sie Angst haben vor dem Sturm, der dann zurückkommt. Und es ist doch ein klares Zeichen, dass wir in ein massives demokratisches Defizit reinlaufen."
"Ich finde, dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für alle, alle die sich engagieren. Und da steht ja auch ein ganz wichtiger Satz drin. Nämlich, dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die sich öffentlich und überhaupt engagieren, auch zu schützen. Das ist öffentliches Interesse, das ist ein stehender Begriff in vielen Rechtsbereichen. Das ist sozusagen das Interesse der Allgemeinheit, des funktionierenden Staates. Der Staat hat ein Interesse und muss sich dafür einsetzen. Also das bezieht sich nicht nur auf Bundestagsabgeordnete, Amtsträger, sondern auf Menschen, die sich engagieren. […] Der demokratische Staat lebt von einer Zivilgesellschaft, die Sie auch unterstützt und für die Prinzipien eintritt. Und das ist quasi die Fortführung. Ich würde sagen, dieses alte Diktum hat das Bundesverfassungsgericht ins 21. Jahrhundert, ins digitale Zeitalter gehoben und deshalb gesagt, es ist ein öffentliches Interesse, die Persönlichkeitsrechte von Menschen, die sich engagieren, zu schützen. Und deshalb kommen sie ja auch zu dem Punkt zu sagen, man kann nicht einfach sagen, was in der alten Rechtsprechung war: Meinungsfreiheit geht eigentlich immer vor. Und insofern ist es ein Urteil für alle."
"Ich fange mal mit dem positiven Teil an. Für mich persönlich hat es auch eine bereichernde Funktion. Weil es nämlich Ebenen gibt, wo ich mit anderen kommunizieren kann, überall auf der Welt. Leute, die ich kenne oder nicht kenne, von denen man weiß, dass man ähnliche Interessen hat oder über irgendetwas berichtet. Da kann ich mich wunderbar austauschen. Über soziale Medien kann mir auch eine Workers-Union mit Frauen, die in der Textilindustrie in Bangladesch arbeiten, mitteilen - guck mal, da passieren Fehler im Auftrag deutscher oder europäischer Unternehmen. Gut. Aber der ganz große Teil ist der gefährliche, hier verdienen Leute Geld, richtiges Geld mit Klicks, und die meisten Klicks sind bei Emotion, und deshalb gehen da Emotionen ohne Ende durch. Und wir haben ja gerade durch eine Whistleblowerin auch noch einmal erfahren, dass zum Beispiel auch YouTube einfach auf junge Leute so in dem Kontext gar keine Rücksicht nimmt.
Und das ist so eine neue Art der Individualisierung und jeder haut mal was raus. [...] Das ist wie eine neue Sozialisation. Erziehung zu reiner, aggressiver Emotion und Abgrenzung. Und da ist meines Erachtens eine Gefahr darin, die noch größer ist, als wir immer dachten, zumal es orchestriert und systematisch passiert."