Lasst die Bürger sprechen
Süddeutsche Zeitung
München würde sich durch zwei himmelhohe Türme im Westen der Stadt stark verändern. Das Votum zu dem geplanten Projekt ist deutlich und liefert damit wichtige Hinweise.
Wie soll sich München entwickeln? Wie will es sich der Welt zeigen? Das sind Fragen, die alle betreffen, die in dieser Stadt leben. Über derlei Entscheidungen zu diskutieren, ist wichtig. Es hilft, die Perspektiven zu schärfen und so auch die Identität. In diesem Prozess ist das von der Stadt initiierte "Bürger*innengutachten fürs Paketpost-Areal" ein wichtiger Schritt.
Das Gutachten entscheidet nicht darüber, ob der Investor Ralf Büschl seinen Plan umsetzen und im Westen der Stadt zwei 155 Meter hohe Türme bauen darf. Aber es gibt Fingerzeige. Die gut hundert zufällig ausgewählten Frauen und Männer sind hohen Häusern in überwältigender Mehrheit nicht abgeneigt, im Gegenteil, sie können sich sogar mehr davon und noch höhere vorstellen - unter klaren Bedingungen: Viel Grün soll es um die Hochhäuser herum geben, gebaut werden sollen diese nach den höchsten Umweltstandards, der Wohnraum soll erschwinglich sein und die Infrastruktur rundum konsequent auf Nicht-Autofahrer ausgerichtet. Dass das Votum so progressiv ausfällt, überrascht. 2004 wollten bei einem Bürgerentscheid noch 50,8 Prozent, dass die Türme der Frauenkirche das Höchstmaß bleiben sollten.
Das Gutachten formuliert aber auch eindeutige Forderungen an die Politik: Diese solle sich schnell und klar positionieren und besser kommunizieren. Zudem werden zwei wichtige Fragen noch einmal formuliert: Wieso gab es für das Projekt keinen Wettbewerb? Und wie konnte Büschl in eine Position kommen, in der er drohen kann: Entweder ihr lasst mich die Türme bauen, oder es entstehen gesichtslose Gewerbebauten! Die Klarheit des Gutachtens ist wohltuend, das Instrument Bürgergutachten hat damit funktioniert. Es sollte öfter zum Einsatz kommen.