Kulturelles Dilemma: Die Zusammenarbeit mit russischen Museen
DW
Wegen des Ukraine-Krieges liegen Museumsprojekte mit Russland auf Eis. Dass der Dialog aber nicht komplett aufhören muss, zeigt ein Beispiel aus Sachsen.
Der junge Mann trägt vollen Ornat. Prächtige Tatoos zieren seine lederne Haut. Auch 2300 Jahre nach der Bestattung, als der Permafrost den Körper mitsamt Pferd und Halsreif umschloss, wirkt der sibirische Reiternomade wie aus dem Ei gepellt. Wegen des Krieges in der Ukraine aber kann er seine lang geplante Reise ins sächsische Chemnitz nicht antreten. Keine Ausfuhrgenehmigung für die Mumie, wegen der aktuellen Sanktionen keine Möglichkeit, Leihgebühren nach Russland zu überweisen. "Sehr, sehr schade", sagt Kuratorin Karina Iwe.
Der Reiter war als Hauptattraktion für die kommende Sonderausstellung des Staatlichen Archäologischen Museums in Chemnitz, kurz: SMAC, gedacht. "Chic! Schmuck. Macht. Leute.", so der Titel der Schau, die zeigen will, wie der Mensch sich durch Kleidung, Schmuckstücke, aber auch Körperschmuck wie Tätowierungen auszudrücken vermag: Schmuck als Zeichen sozialer Zugehörigkeit, als Ausdruck von Individualität, als sichtbarer Beleg für Status, Reichtum und Macht. Da hätte der schmucke Mann aus dem Eis ein gutes Beispiel abgegeben.
Karina Iwe, die ihre Doktorarbeit vor Jahren über sibirische Reiternomaden verfasst hat, ist zutiefst bestürzt über Russlands Krieg gegen die Ukraine. Zwar seien derzeit alle offiziellen Projekte auf Eis gelegt, doch die Kontakte zu ihren russischen Museumskolleginnen und -kollegen möchte die Archäologin nicht abreißen lassen. Auch nicht nach Nowosibirsk, der Heimstatt der Mumie. "Wir stehen fast täglich im Austausch", so Karina Iwe.
Einer, der Iwes Forschungsleidenschaft für Reiternomaden teilt, ist Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Russland-Kenner und - Skythen-Experte. Bereits kurz nach Russlands Angriff auf die Ukraine zog er Konsequenzen. "So gut unsere Zusammenarbeit auch war, wir können jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen", erklärt Parzinger und warnt vor einem "kulturellen Scherbenhaufen". Alle Projekte und Zukunftspläne seien "erst einmal" gestoppt.
Betroffen ist zum Beispiel die Ausstellung "Schliemanns Welten" ab Mai im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, die nun ohne russische Leihgaben auskommen muss. Die Schau in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum würdigt den deutschen Archäologen und Entdecker Trojas (1822-1890) aus Anlass seines 200. Geburtstags. "Eine Schliemann-Ausstellung ohne Russland ist schwierig", sagt der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Matthias Wemhoff. Schliemann verbrachte eine große Zeit seines Lebens in Russland, war sogar russischer Staatsbürger. Auch die Weitergabe der Schau an das Moskauer Puschkin-Museum hat sich jetzt erledigt – und damit, so Wemhoff in einem Blog der Stiftung, "die Chance, in der festgefahrenen Beutekunst-Debatte neue Wege aufzuzeigen." Im Hinblick auf die in Folge des Zweiten Weltkriegs in Russland befindlichen Kulturgüter hatten Wissenschaftler beider Seiten bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine zuletzt eng zusammengearbeitet.