
Killerwal-Attacken auf europäische Boote: Biologe spricht von neuem Phänomen
Frankfurter Rundschau
Orcas attackieren Boote auf dem offenen Meer. Diese Vorfälle häufen sich. Killerwale ahmen dieses aggressive Verhalten offenbar nach, vermuten Forscher.
Gibraltar – Vor der Küste von Spanien spielten sich auf dem Meer gespenstische Szenen ab: eine Gruppe von drei Orcas (Orcinus orca) greift ein Boot gezielt an – mitten in der Nacht. In letzter Sekunde konnte die Crew einer Segeljacht Anfang Mai gerettet werden. „Die Angriffe waren brutal“, erzählen Augenzeugen. Ein traumatisiertes Orca-Weibchen könnte nach Ansicht von Experten für die zahlreichen Attacken auf Boote verantwortlich sein.
Berichte über Zwischenfälle mit aggressiven Orcas häuften sich erstmals 2020. Oftmals verliefen sie jedoch glimpflich. Angefangen hatte es mit Jungtieren, die den Rumpf kleinerer Yachten rammen und Ruder beschädigen. Portugiesische Seeschifffahrtsbehörden führten die Attacken damals auf das „neugierige Verhalten junger Orcas“ zurück, die von bewegenden Strukturen an Schiffen wie Rudern oder Propellern angezogen würden. Seglern wurde in einer Mitteilung empfohlen, im Falle einer Sichtung dieser Säugetiere den Motor abzustellen und das Ruder zu blockieren.
Nun weitet sich das Verhaltensmuster in der Orcapopulation aus, wie auf der Webseite orcaiberica.org zu erfahren ist. Die Plattform sammelt Daten über Interaktionen mit Orcas. Dabei geht es der Atlantic Orca Working Group (GTOA) neben der Sicherheit für Segler in der Straße von Gibraltar auch um den Schutz des Schwertwals im nordöstlichen Atlantik. Vor der Iberischen Halbinsel lebt eine Subpopulation von weniger als 50 erwachsenen Tieren, die in der Roten Liste der IUCN als stark gefährdet eingestuft wird.
Der Anstieg der Aggression gegenüber Booten sei ein neues Phänomen, sagte Biologe López Fernandez von University of Aveiro in Portugal zu livescience.com. Hinweise verdichten sich nach Ansicht von Experten, dass ein traumatisiertes Orca-Weibchen namens „White Gladis“ (offiziell: Gladis Blanca-GB) hinter diesem ungewöhnlichen Verhalten steckt.
„White Gladis“ ist ein erwachsenes Weibchen und eines der „aktivsten Gladis“. Sie hat laut GTOA zwei Töchter (geboren 2015 und 2021), die ebenfalls „interagieren“. Ein Orca gilt als sogenannter Gladis, wenn er mit Schiffen interagiert, heißt es bei GTOA. Der Name stammt demnach von der einheimischen Bezeichnung „Orca Gladiator“ ab und wurde nun zur Identifizierung der Exemplare verwendet.