Kernfusion ist keine Alternative zu Klimaschutz
Süddeutsche Zeitung
Trotz beachtlicher Erfolge ist Kernfusion noch lange nicht marktreif. Warum sich diese Forschung trotzdem lohnt - und was in der Zwischenzeit passieren muss.
Kernfusion, das war lange ein Feld, an dem noch der hartnäckigste Technikoptimist verzweifeln konnte. So ein schöner Traum, das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen, als nahezu unendliche Energiequelle. Unendlich waren in der Realität jedoch nur die ewigen Kostensteigerungen von Großprojekten wie Iter. Der Testreaktor in Südfrankreich ist seit mehr als drei Jahrzehnten in Planung und seit mehr als einem Jahrzehnt in Bau, und es soll ein weiteres dauern, bis dort ernsthaft Kernfusion betrieben werden kann, erst für 2035 ist der Betrieb mit Deuterium-Tritium-Brennstoff geplant. Gegen das Tempo von Iter fließen selbst Gletscher rasant.
Doch zuletzt hat sich einiges getan in der Kernfusion. In den vergangenen Monaten meldeten drei Teams erstaunliche Erfolge - zuletzt in dieser Woche, als Forscher vom europäischen Testreaktor Jet berichteten, wie sie ein Plasma fünf Sekunden lang stabil halten und dabei eine Rekordmenge Fusionsenergie ernten konnten. Sollten kommerzielle Fusionsreaktoren doch noch rechtzeitig kommen, um bei der Bewältigung der Klimakrise eine Rolle zu spielen?
Am europäischen Forschungsreaktor Jet im britischen Culham wurde mehr Fusionsenergie erzeugt als je zuvor. Warum Experten das Ergebnis als großen Fortschritt feiern. Von Marlene Weiß
Es stimmt, dass in dem Bereich viel in Bewegung ist. Mehrere Schlüsseltechnologien haben enorme Fortschritte gemacht. Dazu gehören Supercomputer, die die Prozesse im heißen Plasma simulieren können. Bessere Laser, die in manchen Fusionsexperimenten eingesetzt werden. Oder Hochtemperatur-Supraleiter, mit denen starke Magnetfelder erzeugt werden können, um das Plasma, das wegen seiner Hitze jedes Gefäß zerstören würde, auf kleinerem Raum besser in der Schwebe zu halten. Solche technischen Durchbrüche haben dazu beigetragen, dass viel privates Risikokapital in Start-ups fließt; auch Staaten wie Großbritannien oder China investieren im großen Stil.
Das heißt aber noch lange nicht, dass der funktionsfähige Fusionsreaktor hinter der nächsten Ecke wartet, wie es immer wieder großspurig angekündigt wird. Die jüngsten Fortschritte wurden bei Experimenten erreicht, die parallel sehr verschiedene Ansätze verfolgen. Das mag die Chancen erhöhen, dass einer davon irgendwann Erfolg hat: Das Feld ist breiter geworden, mehr Akteure sind eingestiegen. Schneller geht es deshalb nicht unbedingt. Aus heutiger Sicht dürften erste kommerzielle Reaktoren frühestens um die Jahrhundertmitte verfügbar sein.