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Kent Haruf „Ein Sohn der Stadt“: Der Mann, auf den sie reinfielen
Frankfurter Rundschau
Neues aus Holt: Auch Kent Harufs Roman „Ein Sohn der Stadt“ führt in die unglaublich interessante Provinz von Colorado
Jack Burdettte ist ein unangenehmer Mensch von Kindheit an. Zu laut, zu herrisch, zu selbstverliebt. Zu verwöhnt von einem überforderten Elternpaar. Seine Lehrer fürchten den renitenten Schüler, der kommt und geht, wann es ihm passt. Die anderen in der Klasse bewundern ihn wegen seiner großen Klappe. Seine Freundin Wanda Jo, eine Kleinstadtschönheit mit rotblonden Haaren, betet ihn an. Schon bald macht Burdette Karriere: Erst als gefeierter Footballstar an der High School, später als Manager der örtlichen Farmer-Kooperative – ein hochgeachteter „Sohn der Stadt“, so der Titel von Kent Harufs fünftem, posthum ins Deutsche übersetzten Roman.
Der Kosmos des amerikanischen Autors, der 2014 verstarb, ist seit je die fiktive Kleinstadt Holt, ein verlorenes Nest, eingebettet in die endlosen Weiden und Felder Colorados. Hier, zwischen den wenigen Bars, Kneipen und Kramläden, auf abgelegenen Farmen und in engen Vorstadthäusern spielt das Leben. Der Frauenverein trifft sich zum Bridgespielen und zum Nachmittagstee. Die Männer hängen am Wochenende am Tresen des „Legion“ oder in der Kneipe an der Mainstreet ab.
In Holt bittet die 70-jährige Addie ihren verwitweten Nachbarn Louis, bei ihr zu schlafen, damit sie nachts nicht so allein ist. Und beschwört damit einen Skandal herauf („Unsere Seelen bei Nacht“). In Holt erlebt Dad Lewis seinen letzten Sommer und nimmt Abschied von einem Ort, in dem er bald 80 Jahre gelebt hat („Kostbare Tage“). Kent Harufs Romane sind kleine Meisterstücke über das Leben in der amerikanischen Provinz. Keines seiner Bücher umfasst mehr als 300 Seiten, doch das genügt, um den Menschen jenseits der Großstädte ein Denkmal zu setzen.