Kampf für die Freiheit
Frankfurter Rundschau
Vitali und Wladimir Klitschko waren Weltstars des Sports, nun sind die Box-Brüder ikonische Figuren in einem Krieg. Die Geschichte einer unaufhaltsamen Politisierung
Vitali Klitschko, 50, steht vor einer kahlen Wand und filmt sich selbst mit dem Smartphone. Er hält es in der linken Hand, so entstehen gerade in der Ukraine Clips in einer besonderen Ästhetik der Not. Auch Klitschkos Bruder Wladimir, 45, richtet die Handykamera auf sich. Er erzählt von den Toten. „Und es geschieht im Herzen Europas. Es ist keine Zeit, um zu warten ... Ihr müsst jetzt handeln.“ Begonnen hat er mit dem Satz: „Ich bin Wladimir Klitschko und wende mich an die ganze Welt.“ Zwei, die Stars des internationalen Sports waren, Boxer im Schwergewicht, die besten ihrer Epoche, leben ein Leben, das sie nicht führen müssten. Sie könnten in Villen in der Südsee sitzen, ihren Reichtum genießen. Doch sie kämpfen in Kiew, sie sind im Krieg.
Die Geschichte der Politisierung der Brüder schreibt ihre ersten Kapitel in Going im Tirol. In die Wohlfühloase „Stanglwirt“ am Wilden Kaiser kamen die Klitschkos immer zur Vorbereitung auf ihre Weltmeisterschaftskämpfe. Das Hotel stellte ihnen in die Tennishalle einen Boxring, Wladimir lobte die Luft und das frische Brot, Vitali nutzte das Schwimmbad und die Reithalle. Und es fanden Medientage statt, an denen Vitali oder Wladimir sich in der Bibliothek in einem der plüschigen Ohrensessel niederließen und erzählten. Ums Boxen ging es mit den Jahren immer weniger – dafür mehr um die Politik.
Vitali hatte die Sowjetunion, in der er aufgewachsen war, und ihre Ideologie zu hinterfragen begonnen, als er mit 19 als Kickboxer nach Florida durfte. Er erkannte, dass ihm in der Schule ein anderes, ein falsches Bild von Amerika vermittelt wurde. Von da an war Vitali gesellschaftspolitisch sensibilisiert, ihn bewegte, auch als seine Karriere als Boxer in Deutschland Fahrt aufnahm, die Entwicklung in der Ukraine. Wenn er nicht in Hamburg oder im Trainingslager in Going sein musste, war er in Kiew. Wladimir war anders, sorgloser, voller Durst auf ein Jetset-Leben. Den festen Wohnsitz in Hamburg, wo er Ende der Neunzigerjahre als Profi mit Vitali bei Promoter Klaus-Peter Kohl, einem Großgastronomen, angefangen hatte, gab er auf, lebte in Hotels, wo er eben gerade war. Vitali arbeitete daran, den jüngeren Bruder, den er für das weitaus größere Boxtalent hielt als sich selbst, zu einem ernsthafteren Menschen zu machen. Mit dem Thema „Unsere Heimat“ fing er ihn.
2011 geschah es, dass Vitali – bis dahin undenkbar – den Trainingsaufenthalt in Tirol unterbrach, um in die Ukraine zu reisen. Die Oppositionelle Julia Timoschenko war verhaftet worden, Vitali verlas auf dem Maidan einen Brief an Machthaber Janukowitsch. Es wurde nun ernst.
Er war ja schon an der Gründung einer Partei beteiligt gewesen, der Unabhängigen Allianz für Demokratische Reformen, kurz UDAR. Weil das übersetzt „Schlag“ bedeutet, hatte man das politische Engagement von Vitali Klitschko als Imagebildung interpretiert. Da wollte einer seinen sportlichen Ruhm auf ein anderes Feld übertragen. Tatsächlich erklärte Vitali: „Ich habe den Traum, dass in meiner Stadt eine Straße nach mir benannt wird – und nicht für meine sportlichen Erfolge.“