Kündigung per Video
Frankfurter Rundschau
Ein britischer Fähren-Betreiber setzt Hunderte Beschäftigte überraschend auf die Straße.
Fähren sitzen im Hafen fest, Beschäftigte werden von Sicherheitsleuten abgeführt, Reisepläne storniert und groß angelegte Streiks geplant. Seit Donnerstag herrscht Chaos an den britischen Häfen in Dover im Südosten, Liverpool im Westen und Hull im Norden des Landes. Verursacht wurde es durch die plötzliche Entlassung von 800 britischen Mitarbeiter:innen des Fähren-Betreibers „P&O Ferries“. Dieser kündigte ihnen per Videobotschaft.
Die Nationale Gewerkschaft der Eisenbahn-, See- und Transportarbeiter (RMT) zeigte sich empört. Die Beschäftigten seien kurzfristig und mit sofortiger Wirkung entlassen worden und man gehe davon aus, dass diese durch günstigere Arbeiter ersetzt werden. Der britische Minister für Streitkräfte, James Heappey, sagte, das sei eine „absolut schreckliche Art“, seine Beschäftigten zu behandeln. Die Regierung in London hatte das Unternehmen während der Pandemie noch finanziell unterstützt.
P&O Ferries, seit 2019 im Besitz des Hafenbetreibers DP World mit Sitz in Dubai, steckt finanziell in der Klemme. Mit dem drastischen Schritt will das Unternehmen sparen. Rund 100 Millionen Pfund (119 Millionen Euro) jährlich hat P&O zuletzt nach eigenen Angaben verloren. Wegen der Corona-Pandemie blieben Reisende und Fracht lange aus. „Die Änderungen, die wir an unserem Crew-Modell vornehmen, werden unsere Crew-Kosten um 50 Prozent senken“, zitierte der „Daily Mirror“ am Freitag aus einem Schreiben von Unternehmenschef Peter Hebblethwaite.
Statt der bisherigen Mannschaften sollen günstigere Leiharbeiter die Schiffe steuern und Reisende an Bord bedienen. Parlamentsabgeordnete der betroffenen Städte teilten mit, die Neuen hätten schon bereit gestanden, als die Fähren am Donnerstag überraschend in die Häfen beordert wurden. Der Schifffahrtsverband UK Chamber of Shipping zeigte sich zuversichtlich, dass die Ersatzkräfte die Arbeit problemlos bewältigen können. Doch Gewerkschaften warnen, die neuen Crews hätten keine Erfahrung mit den Fähren und den Routen. Der Generalsekretär von Nautilus International, Mark Dickinson, sagte der BBC, Schiffe durch den Ärmelkanal zu steuern, sei „wie eine sechsspurige Autobahn zur Rushhour zu überqueren“.
Die regierungsnahe Tageszeitung „The Telegraph“ machte die Gewerkschaften für das Chaos bei P&O verantwortlich. Die Gewerkschaft RMT sei „extrem“ und „militant“. Sie hätte schon die Londoner U-Bahn praktisch in den Bankrott getrieben, indem sie um jeden Preis Arbeitsplätze aufrechterhalten und ihre Mitglieder zu ständigen Streiks aufrufen würde. In diesem Klima sei dem Fähren-Betreiber gar nichts anderes übriggeblieben, als sich quasi gewaltsam loszureißen.