Julian Reichelt, Lisa Eckhart und Kolleg:innen: Die Opfer der Wokeness
Frankfurter Rundschau
Der englische Begriff „Woke“ steht für Widerstand gegen Diskriminierung. Die reaktionäre Rollback-Fraktion auf Twitter besetzt das Wort aber negativ. Die Kolumne.
Frankfurt am Main - Wer nicht von morgens bis morgens in den sozialen Netzwerken herumgeistert, dürfte mit dem Begriff „Wokeness“ selten in Berührung kommen. Auf Facebook und insbesondere Twitter hingegen ist der ursprünglich emanzipatorisch verwendete Terminus zum Schimpfwort der konservativ-rechten Blase mutiert.
„Stay woke“ steht eigentlich für Widerstand gegen diskriminierende Strukturen – besonders die systemimmanente Benachteiligung von Schwarzen Menschen. Doch was macht die reaktionäre Rollback-Fraktion daraus, die sich selbst gerne als „liberal“ labelt? Sie besetzt einen positiv-kämpferischen Ausdruck negativ, um ihn abwertend als Fremdbestimmung zu instrumentalisieren. Tatsächlich passiert das nicht erst seit gestern, mittlerweile ist jedoch alles, was nicht von „Springer“-, „Junge Freiheit“- oder „Focus“-Protagonist:innen abgesegnet wird, linksgrünrotversifft „woke“.
„In hohem Maße politisch wach und engagiert“ übersetzt der Duden, und es scheint gesetzt, dass „wach und engagiert“ bei jenen Kreisen nicht gut ankommt, die ihr Abendland ambitionierter gegen das Gendern oder Klimapolitik verteidigen als gegen Nazis. Entsprechend gilt die Forderung nach einem Tempolimit bereits als „woke“, ebenso der Verzicht auf Massentierhaltung und auf Produktion von Billigfleisch. „Freiheit“ ist hier der heroische Gegenpart, dem wirklich alles implizit ist, Hauptsache, es geht den verbitterten Gutmenschen ordentlich auf den Keks.
Ist einigermaßen postpubertär, aber da geht natürlich noch viel mehr. Voll „woke“, übrigens in einer symbiotischen Beziehung mit „Cancel Culture“ zu lesen, ist nämlich auch Kritik an pseudo-kulturellen antisemitischen Eskapaden, wie sie Kabarettistin Lisa Eckhart gerne als Satire verkauft. Wie oft wurde die Österreicherin, ganz armes „Woke“-Opfer, nicht aus dem Fegefeuer der nullcheckenden linken Twitter-Blase gerettet, weil eben nichts Antisemitismus sein kann, worüber Dieter Nuhr lacht.
Oder etwa Florian Schroeder, noch so ein Berufskomiker, der auf den Lisa-Eckhart-Zug ironisch aufgesprungen ist, um schließlich zurückzurudern. Am Auschwitzgedenktag hatte er getwittert, künftig mit Eckhart „langjährig“ zusammenzuarbeiten. Nach zahlreichen Irritationen tat er das Ganze als „gescheiterte Ironie“ (sic) ab – und gilt dennoch als krasse „Woke“-Beute im Eckhartschen Windschatten.