
Judith Kuckart und das Café der Unsichtbaren“ – Für die Einsamen, Unruhigen, Verzweifelten
Frankfurter Rundschau
Judith Kuckart schreibt in ihrem Roman „Café der Unsichtbaren“ über Menschen, die sich beim Sorgentelefon engagieren – wie auch sie selbst sechs Jahre lang. Eine Begegnung in Berlin.
Wir treffen uns in der Berliner Jebenstraße, zwischen dem Museum für Fotografie, wo betörende Mode-Fotos von Helmut Newton hängen, und der Bahnhofsmission, vor der sich Menschen in schlichter Kleidung drängen. Genau in der Mitte der Straße verabschiedet sich Judith Kuckart gerade von Bibiana Beglau, mit der sie Mitte März aus ihrem neuen Roman in der Volksbühne lesen wird.
Dass sie hier steht, lässt sich symbolisch deuten, denn in Kuckarts Buch „Café der Unsichtbaren“ begegnen sich ebenfalls zwei Seiten der Gesellschaft, auch in Berlin. Ihre Helden sind Studentin oder Bauingenieur, Buchhalterin oder Rentnerin und arbeiten ehrenamtlich beim Sorgentelefon e.V. in Berlin. Dort rufen Leute an, die Hilfe suchen oder einfach ein Gespräch: Einsame, Unruhige, Ratlose, Verzweifelte.
Das Sorgentelefon e.V. aus der Literatur gibt es auch in der Realität, in Form verschiedener Krisendienste. Einer davon ist die Telefonseelsorge Berlin e.V., die wurde in West-Berlin 1956 in der Jebenstraße gegründet, wegen der damals sehr hohen Suizidrate. Im Ostteil der Stadt wurde die erste derartige Nummer 1986 eingerichtet, also noch zu DDR-Zeiten. Während wir uns auf die Suche nach einem windgeschützten Ort begeben, erzählt Judith Kuckart, wie sie das Thema und die Personen für ihr Buch gefunden hat. „Als ich in den 80er Jahren nach Berlin kam, hatten mich die schwarz-gelben Aufkleber in den Telefonzellen beruhigt, auf denen stand: ,Kummer? Telefonseelsorge‘. Dazu die Nummer. Ich wusste, wenn es mal nicht mehr weitergeht, kann ich mich für 20 Pfennig dahin wenden. Und gerade hier in der Gegend erlebte ich diesen Kontrast der Stadt immer sehr stark, das Glitzernde und das abgrundtief Hässliche.“
Kuckart stammt aus Schwelm in der Nähe von Wuppertal, studierte in Essen und Köln, kam als Tänzerin und Choreografin mit eigenem Ensemble, dem Tanztheater Skoronel, nach Berlin. Obwohl sie seit 1990 Romane veröffentlicht, zuerst „Wahl der Waffen“, zuletzt, 2019, „Kein Sturm, nur Wetter“, führt sie weiterhin Regie. Gerade inszeniert sie ein eigenes Stück in der Bremer Shakespeare Company, das am 3. März Premiere hat: „Kommt ein Clown in ein Hotel“. Aber darum soll es heute nicht gehen. Nur insofern, als sie sagt: „Ich bin keine Schreibtischfrau, ich bin gern mit Menschen zusammen.“ So kam sie nämlich auch zur Telefonseelsorge.
Nicht weil sie Stoff für ein neues Buch brauchte? Nein, sie habe sich nützlich machen wollen. „Ich habe gedacht, es ist relativ gut mit meinen Dingen bisher gelaufen. Ich habe es ökonomisch hinbekommen, obwohl ich immer freischaffend war, auch sonst habe ich eigentlich Glück gehabt.“ Sie suchte nach einem Ehrenamt. „Wenn ich eine tolle Schwimmerin gewesen wäre, hätte ich Schwimmkurse gegeben. Da ich aber besser zuhören kann, hielt ich das für die richtige Entscheidung.“ Mit ihrer Kunst diene sie natürlich anderen Menschen; sie habe es erleben dürfen im Theatersaal, in Briefen von Leserinnen und Lesern, was sie damit auslösen könne. „Aber ich habe wohl so ein soziales Gen“, sagt sie und schiebt hinterher: „Was für eine Freiberuflerin durchaus hinderlich sein kann, wenn es um Verträge geht.“