
Jesidinnen im Irak: Aufbruch nach der Tragödie
DW
Versklavt oder ermordet: Als Opfer des IS-Terrors gerieten die Jesiden weltweit in den Fokus. Nach der Trauma-Erfahrung öffnete sich die traditionell konservative Gemeinschaft, davon profitieren insbesondere die Frauen.
"Wir freuen uns sehr über Ihren Besuch." Freundlich begrüßte Luqman Suleiman im Herbst dieses Jahres eine Gruppe von Reisenden aus dem Irak und Deutschland am Eingang des jesidischen Tempels Lalish. Die im nördlichen Irak gelegene Stätte hat für die ethnisch-religiöse Minderheit des Landes vielleicht in etwa jene Bedeutung, die für die Katholiken der Vatikan und für die Muslime Mekka hat. Von jedem Jesiden wird erwartet, die Stätte mindestens einmal im Leben zu besuchen. Zugleich suchen auch immer mehr Nicht-Jesiden den Ort auf.
"Es ist sehr wichtig, dass die Menschen hierher kommen und den Jesiden zuhören", sagt Suleiman, der die Besucher durch die Tempelanlage führt. Es gebe seit Langem Vorurteile gegenüber seiner Gemeinschaft, erläutert Suleiman die Empfindungen seiner Glaubensbrüder und -schwestern. Ihre stark ritualisierte und geheimnisvoll anmutende Religion - Traditionen und Regeln werden mündlich weitergegeben, Außenstehende sollen von ihnen nicht viel erfahren - hat die Jesiden in einem Land mit muslimischer Mehrheit zur Zielscheibe werden lassen.
Der Glaube der Jesiden gilt als "dualistisch": Sie sind davon überzeugt, dass Gut und Böse Teil ein- und derselben Gottheit sind. Aus diesem Grund geht ein Teil der Iraker auf Distanz zu ihnen. Manche verunglimpfen sie als "Teufelsanbeter" oder weigern sich, von Jesiden zubereitete Speisen zu essen.
Dieses Vorurteil ließ die kleine, im Irak etwa eine halbe Million Menschen umfassende Glaubensgemeinschaft zur Zielscheibe der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) werden. Als die Extremisten von 2014 an weite Teile des Landes eroberten, war der marginale Status der Jesiden einer der Gründe, warum die IS-Kämpfer glaubten, sie könnten Tausende von deren Mitgliedern ungestraft töten, vergewaltigen und versklaven.
Der brutale Angriff des IS auf die jesidische Minderheit hat diese für immer verändert. Als die Extremisten 2017 aus dem Nordirak weitgehend zurückgedrängt wurden, hatten sie bereits Tausende Jesiden getötet oder entführt. Mehrere internationale Gremien stufen die Ereignisse inzwischen als Völkermord ein. Heute leben noch rund 240.000 Jesiden in Lagern für Vertriebene, viele von ihnen in bitterer Armut.