Jenny Erpenbeck: „Kairos“ – Das Ende einer Liebe und eines Landes
Frankfurter Rundschau
Jenny Erpenbecks „Kairos“ ist ein großer Roman zur Zeitgeschichte.
Muss denn alles zu Ende gehen? Es muss wohl, das Kleine wie das Große. Und weil also beides zu Ende geht, aber die Menschen, die es diesmal erleben, noch nicht sterben – erst viele Jahre später, und wenn sie nicht gestorben sind ... –, ist das Ende automatisch auch ein sogenannter Neuanfang. Ein neues, ein anderes Weitermachen, für einige ein Gewurschtel, ein Mist, für andere nichts davon. Es ist quälend, dass man sich nicht aussuchen kann, wann und wie alles zu Ende geht. Und was danach kommt. Erstens bricht die DDR, „der alte, müde Staat“, zusammen, es geht nicht anders. Der Schriftsteller und überzeugte Sozialist Hans, Mitte 50, der nun nichts mehr zu arbeiten hat, denkt: „Während der Nazizeit haben von Bertolt Brecht bis Thomas Mann unzählige Schriftsteller ihre Heimat verlassen. Jetzt ist es umgekehrt: die Heimat verlässt ihn, während er sich nicht von der Stelle rührt.“ Die Studentin Katharina, Anfang 20, die von ihrer allerersten Venedig-Reise zurückkehrt, denkt: „Sie ist nach Berlin zurückgekehrt, aber Berlin ist jetzt eine andere Stadt.“ Zweitens endet die Liebe von Hans und Katharina. Auch das ist ein komplizierter Fall. Die Autorin und Konstrukteurin spielt das Kleine (die Liebe, und wenn sie noch so groß ist) und das Große (das Land, und wenn es noch so marode ist) nicht gegeneinander aus. Sie führt ihrer beider Ende auch nicht aufdringlich als Parallelaktion vor. Es passiert einfach in denselben Jahren. Es zieht sich einfach beides hin. Hans und Katharina erleben einfach beides, und beides ist für sie wichtig, lebenswichtig.More Related News