Jagd auf Orange: Die bizarre Geschichte eines gentechnischen Experiments
Frankfurter Rundschau
In seinem Bildband „The Petunia Carnage“ erzählt Fotograf Klaus Pichler von einer genmanipulierten Petuniensorte und ihrer Zerstörung. Von Sandra Danicke
Allein der Titel klingt wie ein Krimi: „The Petunia Carnage“ - das Petunien-Gemetzel also. Was kann das sein? Kein Vorspann, kein Text auf dem Buchrücken, also blättert man sich durch die Fotografien, und gleich das zweite Bild wirkt verstörend: Man sieht ein Gewächshaus von innen: Plastikblumentöpfe liegen chaotisch auf dem Boden verstreut; das, was darin wuchs, ist vertrocknet, zerbröselt, kaputt.
Auf den nächsten Bildern sieht man Männer in weißen Schutzanzügen nachts durch ein abgesperrtes Waldgebiet streifen. Die durch x-fach gesehene Fernsehkrimis geschulten Betrachterinnen und Betrachter wissen schnell, dass es hier um einen Tatort geht. Beweisfotos mit Nummerierungen folgen. Zu sehen sind auch hier - vertrocknete Petunien. Es folgt, was folgen muss: Die exakte Identifizierung der Opfer mithilfe von Farbtafeln, eine Pressekonferenz und Boulevardblätter, die in riesigen Lettern nach dem mysteriösen Petunienmörder fragen.
Sogar eine Petunien-Gedenkstätte mit Grablichtern gibt es. Doch das war erst der Anfang. Die Ästhetik dieser Bilder ist bezwingend, zu schön und vor allem: zu surreal, um wahr zu sein. Denkt man.
Und dann wird es ziemlich verrückt. Also noch verrückter als ohnehin schon, aber das sollten Sie sich vielleicht selbst ansehen. Es kommen vor: ein virtuoser Tanz zwischen Petunie und orangefarbener Büroschere, eine Art Chemielabor und offiziell anmutende Gentest-Ergebnisse von orangenfarbenen Petunien. Die Untersuchung wurde offenbar 2015 in Helsinki vorgenommen. Man fand heraus, dass die analysierten Pflanzen fremde DNA-Segmente enthalten, die für die Farbgebung zuständig sind. Es wird darauf verwiesen, dass dies womöglich mit gentechnischen Experimenten zusammenhängt, die 1990 in Köln durchgeführt wurden. Eine Reihe von Zeitungsausrissen von damals scheinen dies zu bestätigen. Ein Maisgen sei in die Petunie eingeschleust worden, liest man hier. Offenbar gab es damals Prosteste, „gegen die Freisetzung genmanipulierter Lebewesen“.
Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo man zu zweifeln beginnt, ob das alles nur ausgedacht ist. Kann es sein, dass diese Ereignisse tatsächlich passiert sind? Führten die Untersuchungen, die damals einsetzten, wirklich zur Zerstörung zahlreicher Petunienarten, zum Petunien-Gemetzel also? Wurden harmlose Pflanzen verbrannt und zerstückelt? Googeln Sie ruhig, Sie werden staunen. Oder Sie blättern ans Ende des Buches, wo Klaus Pichler in einem orangefarben hinterlegten Text erklärt, was es mit seinem Projekt auf sich hat. „Die Geschichte über die orangefarbenen Petunien ist mehr als nur eine wissenschaftliche Anekdote – sie ist vielmehr eine Parabel darüber, was passieren kann, wenn wissenschaftliches Interesse, kommerzielle Marketinglogik, gesellschaftspolitische Werte und unerwartete Zufälle aufeinandertreffen“, schreibt er hier (allerdings auf Englisch). Und weiter hinten: „Die Vernichtung der orangefarbenen Petunien im Jahr 2017 ist nur der Höhepunkt einer Reihe von Irrungen und Wirrungen, die bis in die späten 1980er Jahre zurückreichen, als am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln eines der ersten gentechnischen Experimente stattfand. Damals wurden im Garten des Instituts 30 000 transgene Petunien gepflanzt, die durch gentechnische Veränderung lachsrot statt weiß blühen sollten. Die künstliche Blütenfarbe sollte dazu dienen, sogenannte springende Gene (Transposons) zu isolieren und ihre Bedeutung für die Evolution zu untersuchen.“