J. R. R. Tolkien, eine doppelte Würdigung zum Todestag – Auf der Suche nach einer verlorenen Welt
Frankfurter Rundschau
Vor 50 Jahren starb der Schöpfer von „Herr der Ringe“ - J.R.R. Tolkien hasste alles Moderne, umso mehr liebte er die alten Sprachen und die nordischen Geschichten von kleinen Fabelwesen.
Im Fieber, wortwörtlich, fand einst die Lektüre von J. R. R. Tolkiens „The Lord of the Rings“ statt (16. Auflage des Paperbacks, 1976), aber keineswegs im Fieberrausch, sondern nach Art einer Reise durch ein faszinierend fremdes Land, von dem man die Augen nicht lassen kann. Die junge Frau lag mit Mandelentzündung im Bett, das Schlucken tat weh, der Körper glühte. Feine Bleistifteinträge im eselsohrigen, abgegriffenen Band lassen erkennen, dass die Kraft dennoch fürs ein und andere Nachschlagen eines englischen Worts gereicht hat. Seltsam, denn in der Erinnerung war es eine Lektüre gleichsam ohne Punkt, Komma und Halt. 1077 Seiten? Da muss die Leserin mehr als einmal geschlafen haben, zwischendurch, auch wenn sie es anders erinnert.
Auf dem Cover (auf dem kein Verfassername steht): eine von zwei Bäumen, von ihren Wurzeln und Kronen dekorativ umrankte, im vorderen Bereich englisch wirkende, idyllische Landschaft mit Dorf. Ein winziges Grüppchen mit Esel oder Pferd, zwei Figuren in Kindergröße. Hinten hohe, spitze Berge.
Angeblich gehört J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ zu den Büchern, von denen viele nur behaupten, sie gelesen zu haben (so eine britische Umfrage vor Jahren). Mag sein. Aber sehr viele haben es gekauft (16. Auflage allein des Taschenbuchs, 1976!) und wenn sie dann einmal angefangen haben, weil sie zum Beispiel krank im Bett lagen oder einen verregneten Urlaub machten, konnten sie bestimmt nicht mehr aufhören.
Woran das liegt? Nun, der etwas sonderbare Mr. Tolkien schuf auf diesen mehr als tausend Seiten eine komplette, in sich perfekte Welt, ein Paralleluniversum, wie es als einerseits vertraute, andererseits in manchem eben auch entscheidend abweichende Erden-Variante durchs All fliegen könnte. Darin ist ihm übrigens Joanne K. Rowling sehr ähnlich, bei der auch jedes Detail sich in die Fiktion fügt, jede Kleinigkeit stimmt und klappt – und sei es die Briefzustellung mittels Eulen und ein Wettkampf auf Besen. Nachlässigkeit ist durchaus etwas, das die Leserin, der Leser spürt. Umgekehrt ist die Befriedigung tief, wenn Hobbit-(oder Harry-)Puzzleteilchen sinnvoll an ihren Platz springen und das Bild sich vervollständigt.
Schon Tolkiens „Prolog“ zu den drei „Herr der Ringe“-Bänden ist mit einer so präzisen Überlegung, gleichzeitig mit einem so tiefen Ernst geschrieben, dass man auf der Stelle dort, wo man eben gerade sich befindet, gefesselt ist und mehr wissen möchte. Aha, Hobbits sind also kleiner als Zwerge und leben am liebsten auf gut bestelltem Land, sind skeptisch gegenüber Maschinen, können außerdem nicht zaubern, sich aber schnell und geschickt verstecken (klar, denkt die Leserin, sonst würde man sie ja mal ertappen, mal sehen können auf einem Spaziergang). Sie rauchen ein spezielles Pfeifenkraut, der Überlieferung nach hat es Tobold Hornblower of Longbottom erstmals in seinem Garten angebaut. Inzwischen, so erzählt Tolkien gemütlich weiter, gibt es die schmackhaften Varianten „Longbottom Leaf“, „Old Toby“ und „Southern Star“. Ein Schelm, wer da an die Vielfalt von Cannabisprodukten denkt? Wer zu jung dafür ist, hält an den sich gern und sorgfältig die Pfeife stopfenden Onkel.