
Jüdische Flüchtlinge in Czernowitz: "Zukunft ist der heutige Tag"
DW
Im ukrainischen Czernowitz, einst das "Jerusalem des Ostens", lebten bis vor Kurzem kaum noch Juden. Nun verschaffen Geflüchtete aus anderen Landesteilen den jüdischen Gemeinden neuen Zulauf.
Viktorija Maksymowytsch hat frischen Tee aufgebrüht und Kuchen auf den Tisch gestellt. Aber wenn sie und ihr Mann, Oleg Krassnyj, vom Krieg in der Ukraine, von ihrer Flucht und ihrem Exil im eigenen Land sprechen, dann mag man nichts Süßes anrühren. Worte, die in ihrer Erzählung oft vorkommen, sind: Bomben, Zerstörung, Schrecken. Sie sitzen in der Küche der kleinen Wohnung, in der sie untergekommen sind. In der Ecke steht ein Stromgenerator, der mit Benzin betrieben wird. Gerade muss er nicht laufen, denn es gibt Strom.
Die jüdisch-ukrainischen Eheleute stammen aus Charkiw im Nordosten der Ukraine, der zweitgrößten Stadt des Landes. Wie Millionen Ukrainer haben sie nach Kriegsbeginn fast alles verloren - ihre Arbeit, fast ihr gesamtes Vermögen, ihren Alltag, ihr bisheriges Leben. Zum Glück noch keine engeren Familienangehörigen und geliebten Menschen. Im Frühjahr 2022 strandeten sie zusammen mit ihrem 15-jährigen Sohn in Czernowitz in der Westukraine, in der einst wohl jüdischsten Großstadt des Landes, die als "Jerusalem des Ostens" galt.
Sie berichten von ihrem früheren Leben, von den Kriegstagen in Charkiw, von ihrer Flucht sprunghaft, manchmal atemlos und so, als hätten sie eine Schlinge um den Hals. Es ist eine Kriegstragödie wie die von Millionen Anderen in der Ukraine. Zugleich aber auch eine spezielle - weil es um jüdische Menschen geht, in deren Ohren die russische Propaganda von der "faschistischen Ukraine" und ihrer "Entnazifizierung" besonders absurd und zynisch klingt.
Viktorija Maksymowytsch, 37, und ihr Mann Oleg Krassnyj, 45, sind beide in Charkiw geboren, Krassnyj hat einige Jahre in Israel gelebt. Viktorija ist gelernte Ökonomin, Oleg Juwelier, sie sind beide gläubige, nicht-orthodoxe Juden. Sie fühlen sich als ukrainische Menschen, sie können Ukrainisch, aber ihre Muttersprache ist Russisch, so wie die der meisten Menschen in Charkiw. Vor dem Krieg wohnten sie in einem Mittelklasse-Viertel im Norden der Stadt und betrieben zusammen ein gut gehendes Imbiss-Café mit mehreren Angestellten. Sie führten ein unbeschwertes Leben.
Am frühen Morgen des 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, wachten sie von Granaten- und Bombeneinschlägen auf. "Es war schrecklich. Die Explosionen waren nahe an unserem Wohnblock, nur ein paar hundert Meter entfernt", erzählt Viktorija. Ihr Mann Oleg sagt, sie beide hätten es niemals für möglich gehalten, dass Russland die Ukraine angreift.