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Ivan Krastev: "Die nächsten Monate werden die schwierigsten in der Geschichte der EU"
DW
Der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev glaubt nicht an ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine. Finanzkrise, Inflation und Energiepreise werden in der EU "massive Turbulenzen verursachen".
Deutsche Welle: Herr Krastev, die ukrainische Armee erzielt gerade beeindruckende militärische Erfolge bei ihrer Gegenoffensive gegen die russischen Truppen in ihrem Land. Ist der Krieg in der Ukraine bald zu Ende?
Ivan Krastev: Die Kriege der vergangenen Jahrzehnte haben nie ein richtiges Ende gehabt, die kriegerischen Handlungen wurden einfach irgendwann eingefroren. Das wird wahrscheinlich auch in diesem Krieg passieren. Eine Feuerpause wird es wohl geben, aber keinen echten Frieden. Wie wir hören und lesen, bereitet Russland in den von Moskau kontrollierten Gebieten "Unabhängigkeitsreferenden" vor, was de facto einer Annektierung dieser Territorien gleichkommt. Unter diesen Bedingungen sind Friedensverhandlungen unmöglich.
Die russische Propaganda behauptet, Russland habe die Ukraine längst besiegt. Nun kämpfe man gegen die NATO, die den Krieg mit ukrainischem Kanonenfutter führe. Hat Moskau Recht?
In jedem Krieg beanspruchen beide Seiten den Sieg. Russland hat den Krieg tatsächlich als eine "Spezialoperation" angefangen, in der Überzeugung, dass es innerhalb von wenigen Wochen keine prowestliche Ukraine mehr geben werde. In diesem Sinne hat Russland bereits verloren, denn dieses Ziel hat es nicht erreicht.
Die Behauptung, man kämpfe in der Ukraine eigentlich gegen den Westen, versucht zwei Fragen zu beantworten. Erstens: Warum töten die Russen in der Ukraine Menschen, mit denen sie bis vor kurzem zusammengelebt haben? Und zweitens: Warum hat Russland nicht die erwartete militärische Übermacht? Die einzige Erklärung, die in beiden Fällen plausibel erscheint: Russland kämpft gegen den ganzen Westen. Die These lautet: Der Westen hat Russland betrogen, Russland ist das Opfer und nicht der Aggressor.