
IT-Industrie zwischen den Fronten
DW
Der IT-Sektor war in den postsowjetischen Ländern Ukraine und Belarus ein Prestige-Bereich und versprach der jungen Generation große Perspektiven. Doch dann kam der Krieg.
Für ukrainische IT-Spezialisten gibt es im Krieg keine Arbeitspause. Sergey Tokarev, Gründer mehrerer IT-Unternehmen und Investor, ist Tag und Nacht damit beschäftigt, seine Mitarbeiter in Sicherheit zu bringen und das Geschäft am Laufen zu halten. "IT ist fast die einzige Industrie in der Ukraine, die momentan noch funktioniert und Geld ins Land bringen kann", sagt Tokarev im DW-Gespräch.
Vor dem Krieg war die IT-Industrie eine wichtige Säule der ukrainischen Volkswirtschaft, ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt vor dem Krieg lag bei über vier Prozent. Jetzt, nach dem russischen Einmarsch, liegt die Hälfte der ukrainischen Unternehmen am Boden, die wirtschaftlichen Verluste des Landes betragen laut dem ukrainischen Präsidentenberater Oleg Ustenko schon jetzt mindestens 100 Milliarden Dollar. In dieser dramatischen Lage gewinnt die ukrainische IT-Branche noch mehr an Bedeutung.
Aber auch die IT-Industrie ist teilweise gelähmt. Die großen Unternehmen haben zwar ihre Mitarbeiter in den Westen des Landes oder gar ins Ausland verlegen können, doch für kleine Firmen ist das nicht einfach so möglich. Manche seiner Leute müssten immer wieder zwischen ihren Wohnungen und Bunkern pendeln und lebten in ständiger Angst, beschreibt Tokarev die Situation.
Unter diesen Bedingungen scheint es unmöglich zu arbeiten. Und doch tun das trotzdem viele, denn ca. 70 Prozent aller IT-Fachkräfte arbeiten als externe Dienstleister für den westlichen Markt. Wenn sie nicht liefern, werden sie nicht bezahlt und bekommen möglicherweise keine neuen Aufträge. "Natürlich fragen manche Kunden, ob ihre Auftragnehmer noch am Leben sind und das Projekt fertigstellen werden", sagt Tokarev.
Aber, so hört man es auch aus Firmenkreisen, man verspüre auch eine große Solidarität bei den Kunden. Da werden Aufträge vorab bezahlt, ausgefallene Tage ebenso. Und auch neue Kunden melden sich.