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Iran: "Hinrichtungen als Racheakte"
DW
Die Zahl der Exekutionen im Iran ist drastisch gestiegen. Auf die Unterdrückung der landesweiten Proteste folge die Vergeltung, sagen Experten und Aktivisten.
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn des Jahres mindestens 209 Menschen im Iran exekutiert worden. Das sind im Durchschnitt mehr als zehn Menschen pro Woche. Die Zahl sei "erschreckend hoch" und eine der höchsten weltweit, erklärte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk am Dienstag, 10. Mai. Die tatsächliche Zahl der hingerichteten Menschen ist nach Überzeugung der UN wahrscheinlich noch höher. Viele Familienangehörige der hingerichteten Menschen hätten Angst, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.
"Viele stehen auch unter Schock", sagt die Frauenaktivistin Fariba Balouch im Gespräch mit der DW. "Zuletzt wurden in Belutschistan innerhalb von neun Tagen mindestens 26 Menschen hingerichtet", berichtet sie weiter. "Diese Welle von Hinrichtungen stellt schlicht und einfach staatlich legitimierten Mord dar." Fariba Balouch wurde selbst in der ostiranischen Provinz Sistan Belutschistan geboren und ist dort aufgewachsen. Seit drei Jahren lebt sie im Exil in London und versucht, den Unterdrückten in ihrem Heimatland eine Stimme zu geben. "Den meisten Hingerichteten in Belutschistan werden Drogendelikte vorgeworfen. Die Todesstrafe für solche Vergehen verstößt gegen internationale Menschenrechtsnormen. Aus unserer Sicht rächt sich der Staat an uns wegen der anhaltenden Proteste in den letzten acht Monaten."
Die landesweiten Proteste, die das Land nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September 2022 erfassten, wurden brutal niedergeschlagen. In Sistan und Belutschistan aber gehen die Demonstrationen weiter. Dort versammeln sich noch immer jeden Freitag Menschen auf den Straßen und protestieren gegen das politische System. Die Mehrheit der Einwohner der Provinz sind Sunniten, im Gegensatz zum schiitisch geprägten Rest des Landes. Sie leiden darunter, dass die Zentralregierung sie systematisch benachteiligt. Die Provinz an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan gilt als eine der ärmsten Regionen im Iran.
"Die Machthaber sind besorgt über eine mögliche neue Welle landesweiter Proteste aufgrund der politischen, aber auch wirtschaftlichen Situation im Land", berichtet Ribin Rahmani im Gespräch mit der DW. Rahmani, ein Kurde, der in London lebt und für ein Netzwerk von kurdischen Menschenrechtsaktivisten arbeitet, fügt hinzu: "Angehörige der Inhaftierten aus verschiedenen Teilen des Landes melden sich bei uns und berichten über die miserablen Bedingungen in den überfüllten Gefängnissen, die bereits ihre Kapazitätsgrenze erreicht haben. Hinrichtungen werden als Mittel zur Einschüchterung der Gesellschaft eingesetzt."
Das Justizsystem im Iran zeichnet sich weder durch Unabhängigkeit noch Transparenz aus. Es kommt häufig zu willkürlichen Festnahmen, erzwungenen Geständnissen und zu Druck auf Familienangehörige. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl verhängt der Iran weltweit die meisten Todesurteile. In absoluten Zahlen steht das Land nach China und vor Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien auf Platz zwei. Die Todesstrafe wird nicht nur für Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung verhängt. Auch Drogenhandel wird sehr häufig mit dem Tode bestraft. Und: Die Hinrichtung droht auch bei politischen "Straftaten".