
Indonesische Kunst unter Generalverdacht? Kuscheln mit Kuhleber
Frankfurter Rundschau
Zeitgenössische indonesische Kunst steht unter Generalverdacht? Melati Suryodarmo zeigt in Maastricht, wie sich traditionelle Kultur und aktuelle Performancekunst bereichern können
Ihr Podest ist aus Butter. Sie trägt ein schwarzes Partykleid und hochhackige rote Lackschuhe. Sie spreizt die Arme, schwingt die Hüften sehr elegant. Sie gleitet im Takt der Trommeln, rutscht auf der Butter hin und her – und schlägt heftig auf dem Boden auf. Dann steht sie wieder auf, tanzt, tanzt, tanzt. Die Butter glitscht, klemmt unter ihren Hacken, sie gleitet, rutscht – fällt hin. Immer wieder stürzt Melati Suryodarmo hart auf den Boden, ihr Kleid ist verschmiert, das Gesicht hart und entschlossen. Man kann kaum hinsehen.
Die Videodokumentation „Exergie – Butter Dance“ von 2000 zeigt die wohl berühmteste Performance der indonesischen Künstlerin, wobei „berühmt“ natürlich relativ ist. In Europa kennt man sie kaum. Das dürfte sich jetzt ändern, denn Suryodarmo ist derzeit mit einer umfangreichen und sehr bemerkenswerten Ausstellung im Bonnefantenmuseum in Maastricht zu sehen. Ja: Sie ist zu sehen, denn ein Großteil der Werke sind Videos, die sie und andere beim Performen zeigen. „I'm a Ghost in My Own House“ heißt die Ausstellung, die von Philippe Pirotte kuratiert wurde. Der ehemalige Rektor der Frankfurter Städelschule, der auch zur Findungskommission der Documenta gehörte, ist Experte für indonesische Kunst, und die Schau kommt im richtigen Moment.
Gerade jetzt, wo zeitgenössische Künstler aus Indonesien unter dem Generalverdacht einer antisemitischen Gesinnung stehen, zeigt Suryodarmo, wie fantastisch beides zusammengehen kann: die Kultur und Geschichte Indonesiens und eine zeitgemäße europäische Kunstauffassung. Der Buttertanz zum Beispiel ist unmittelbar zu verstehen. Ein Mensch lässt sich nicht unterkriegen, fällt, steht auf, ist stark, selbstbewusst – und vor allem eindeutig eine Frau. Dass die Künstlerin sich auf die Bewegungen des traditionellen Pakarenatanzes der in Südsulawesi lebenden Bugis bezieht, dass der Trommelschlag von einer schamanistischen Trance-Zeremonie stammt, verleiht der Arbeit eine zusätzliche Bedeutungsebene. Aber das Wichtigste – und das gilt für alle ihre Arbeiten – ist, dass sie starke, eindrückliche Bilder schafft. Bilder, die im Kopf bleiben, dort nachhallen. Bilder, die berühren, ganz gleich, wo man herkommt.
Zum Beispiel „The Promise“ von 2002: Eine Frau – die Künstlerin –, gekleidet in einer roten Robe, ist in der klassischen Madonna-mit-Kind-Pose zu sehen. Ihr Haar schlängelt sich elf Meter lang über den weißen Boden. Es dauert einen Moment, bis man erschrocken bemerkt, dass die Frau, die so fürsorglich nach unten auf ihre Arme schaut, darin nicht etwa ein Baby wiegt, sondern eine blutige Kuhleber, groß wie ein Kopfkissen. Eine faszinierende Szene, die man in verschiedene Richtungen interpretieren kann, die jedoch kulturübergreifend als Schmerzensbild interpretiert wird.
Tatsächlich bezieht sich Suryodarmo auf Durga, eine indische Göttin aus dem Mahabharata Epos, und in Java symbolisiert die Leber, so erfährt man im Besucherheft, Selbstkontrolle. „Es ist das Organ, in dem man alles speichert, was man anderen gegenüber nicht offen äußert (daher der Ausdruck makan ati: ,iss deine eigene Leber‘ oder ,schlucke deinen eigenen Schmerz‘).“