In der Ukraine überwiegen die Sorgen: Stimmungsbild einer bedrohten Bevölkerung
Frankfurter Rundschau
Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg mit Russland schon acht Jahre im Gange. Dennoch beunruhigt die drohende Invasion das Land. Viele wollen sich im Falle eines Angriffs erbittert wehren
Krieg bedeutet viel Papierkrieg, auch wenn unklar ist, ob er überhaupt ausbricht. „Wir haben angefangen, alle Dokumente zu scannen“, erzählt Irina, Bankangestellte aus der ostukrainischen Stadt Kramatorsk. „Die Scans bleiben in der Filiale, die Originale werden ins Hinterland gebracht, in die Zentrale, falls sich die Lage hier verschärft.“ Panik gebe es keine, aber die Lebensmittel seien etwas teurer geworden. Irina Gawrjuschenko ist eine große, blonde Frau, der Donbass-Akzent ihres Russischs klingt beruhigend. „Wenn es nur Artilleriebeschuss gibt, wie 2014, bleiben wir hier.“ In Kramatorsk stehe ihr Haus, hier lebten ihre alten Eltern. „Aber wenn es wirklich Okkupation gibt, fahren wir weg.“
Über der 160 000 Seelen-Stadt Kramatorsk und der gesamten Ukraine schwebt der Schatten eines großen Krieges. Nach westlichen Meldungen konzentriert Russland 130 000 Mann, Luftwaffe, Raketensysteme und Landungsschiffe an den Grenzen und Ufern des Landes. Ihr Angriff soll unmittelbar bevorstehen.
Die Russen behaupten ihrerseits, im Donbass hätten sich 120 000 ukrainische Truppen versammelt, um die Rebellenrepubliken Donezk und Lugansk zurückzuerobern. Und in Charkiw, Kiew oder Dnipro erkundigen sich die Leute, welche Metro-Stationen als Luftschutzbunker taugen.
Überall packen die Menschen „Alarmköfferchen“, mit den wichtigsten Papieren, Arzneien, Unterhosen und anderen Lebensnotwendigkeiten. Man wappnet sich, schimpft auf Wladimir Putin, aber auch auf die Strompreise. Außerdem, sagen die Ukrainer:innen, habe man ja schon acht Jahre Krieg.
Der eine hortet Lebensmittel, die andere kauft einen Dieselgenerator, Kiew hat sich geleert. „Ich bin in einer halben Stunde mit dem Taxi quer durchgefahren“, staunt die Studentin Dana, die gerade aus Israel zurückgekehrt ist – aber das mag auch an der Omikron-Welle liegen. „Jedenfalls haben mir in Israel alle gesagt: ,Bleib hier, bei uns ist es viel sicherer!‘“ Dana grinst.