
Hans-Ulrich Treichel: „Schöner denn je“ – Aus dem Leben eines Romanisten
Frankfurter Rundschau
Damals in Westberlin: Hans-Ulrich Treichel lässt in „Schöner denn je“ einen Genazino-Helden was erleben.
In Hans-Ulrich Treichels neuem Roman „Schöner denn je“ erlebt ein sogenannter uninteressanter Mensch etwas halbwegs Interessantes. Er kann jedoch nicht viel daraus machen. Darum kann auch das Buch nicht viel daraus machen. Aber das gelingt ausgezeichnet. Die Sicht auf den Lauf der Dinge in „Schöner denn je“ (ein schöner Titel, der dann auch schön hergeleitet wird) erinnert an den Blickwinkel eines Wilhelm-Genazino-Helden: präzise, verzweifelt und mit sehr viel mehr Selbstironie als Entschlossenheit. Unter diesem Aspekt hat dieser schmale Roman einiges mit einem Genazino-Roman gemeinsam. Auch Treichel ist ein Meister darin, das Leben und Dasein eines Tropfes zu skizzieren, ohne sich ins einfach Komödiantische zu verstricken. Auch der erzählende Held in „Schöner denn je“ ist ein Beobachter des Lebens in Sichtweite und seiner selbst. Da sich in Genazino-Romanen im Allgemeinen noch weniger ereignet als hier, hinkt der Vergleich. In „Schöner denn je“ ereignet sich durchaus etwas! Andreas Reiss, Romanist, arbeitet in Westberlin in der Lehreraus- und -weiterbildung. „Wie schrieb sich das überhaupt? Manchmal war ich mir selbst nicht sicher.“ Seine Ehe mit Susanne ist von der unfreiwilligen Kinderlosigkeit „überfordert“ worden, dazu kommt eine „inzestuöse Hemmung“ seinerseits, da er Susanne ja inzwischen sehr gut kennt: glänzende Beobachtungen des Erzählers, der ein sogenannter uninteressanter Mann ist, aber nicht dumm oder unaufmerksam, schon gar nicht ist er ohne Worte. Sein Problem ist eher die geschärfte Wahrnehmung des geschulten Geisteswissenschaftlers. Andreas Reiss ist der Typ Mensch, der auch die kleinsten verächtlichen Signale von subalternen Hotelangestellten nicht übersehen kann. Ein anstrengendes Leben, obwohl er das gewiss nicht anstrebt. „Doch ich war nicht außer mir, tanzte auch nicht um den Esstisch herum, sondern blieb ruhig. Mehr als ruhig. Die Mediziner wissen, dass Freude genauso viel Stress erzeugen kann wie Angst. Aber ich hatte keinen Stress, oder nur insofern, als ich eine starke Müdigkeit verspürte, mich fast ein wenig betäubt fühlte und Mühe hatte, mir die Situation zu vergegenwärtigen.“ Denn nun hat sich etwas ereignet!More Related News