Härtere Strafen für Hells Angels
Süddeutsche Zeitung
2014 erschossen Rocker einen Konkurrenten in Berlin. Weil Polizeipannen nicht ausgeschlossen werden konnten, bekamen sie im Mordprozess jedoch Strafrabatt. Diesen hat nun der Bundesgerichtshof aufgehoben.
Es war eine der spektakulärsten Straftaten in den vergangenen Jahren in Berlin: Im Januar 2014 betraten 13 Vermummte ein Berliner Wettbüro, einer von ihnen schoss acht Mal auf einen Mann, der an einem der Tische saß. Eine Überwachungskamera filmte die Tat, die 25 Sekunden dauerte, die Ermittler sprachen von einer "Hinrichtung". Schnell war klar, wer die Vermummten waren - Mitglieder der Rockergruppe Hells Angels, die sich an einem Konkurrenten aus der Gruppe der verfeindeten Bandidos rächen wollten. In Auftrag gegeben hatte die Tat Kadir P., ein Ex-Boxer, der in Berlin als Pate der Rocker galt und "nach immer mehr Macht strebte", wie es der Staatsanwalt nannte. Dazu habe auch gehört, durch ein Verbrechen wie das im Wettbüro seinen Ruf in der Szene zu festigen.
Den Mitgliedern gehe es weniger ums gemeinsame Motorradfahren, sondern um Macht und Geld, argumentiert der Bundesinnenminister. Und das setzten sie auch gewaltsam durch.
Nicht weniger spektakulär war der Prozess, der den Mord aufarbeitete. Fünf Jahre lang wurde vor dem Berliner Landgericht verhandelt, bis im Herbst 2019 die Urteile gefällt werden konnten: lebenslange Haftstrafen für acht Angeklagte, darunter Kadir P., der nicht selbst am Tatort gewesen war. Möglich war das, weil einer der Angeklagten etwas getan hatte, was im Rockermilieu absolut unüblich ist: Er hatte ausgesagt und dabei Einblicke in einen Bereich der organisierten Kriminalität geliefert, in dem die Protagonisten normalerweise lieber selbst ins Gefängnis geht, statt andere zu belasten. Der Kronzeuge erzählte ausführlich von der männerbündischen Struktur der Rocker und darüber, womit sie ihr Geld verdienen, nämlich mit Prostitution, Anabolika und Drogenhandel in Clubs.
Und man erfuhr, wie gefährlich es ist, sich mit den Rockern anzulegen. Der Mann musste während des gesamten Prozesses in einer eigens gesicherten Glaszelle untergebracht werden, nicht einmal sein Verteidiger wusste, in welchem Gefängnis er saß. Wegen seiner Hilfe bei der Aufklärung der Tat kam er mit zwölf Jahren Haft davon. Er ist inzwischen wieder auf freiem Fuß und lebt an einem unbekannten Ort im Zeugenschutzprogramm.
Und noch etwas war an dem Verfahren ungewöhnlich. Denn es ging nicht nur um die Verantwortlichen für das "mörderische Überfallkommando", wie es der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung nannte. Sondern auch um die Rolle der Ermittler. Denn dass Kadir P. und sein späteres Opfer verfeindet waren, wussten alle in der Szene, der Mann aus dem Wettbüro, selbst ein mehrfach vorbestrafter Intensivtäter, ging nur mehr mit schusssicherer Weste und geladener Waffe aus dem Haus. Polizisten, die vor der Tat das Telefon von Kadir P. abhörten, bekamen zudem mit, dass er sich an dem Bandido-Mann rächen wollte. Daher hätten sie zumindest eine sogenannte Gefährderansprache abhalten, also Kadir P. klarmachen müssen, dass die Polizei ihn im Visier hat. Dies passierte jedoch nicht, weshalb die Richter im Berliner Mordprozess nicht ausschließen konnten, dass die Tat ohne diese Ermittlungsfehler womöglich hätte verhindert werden können. Die Verurteilten bekamen daher einen Strafrabatt von zwei Jahren.