
Gustave Flaubert: Die Zucht und das Zerquetschen von Läusen
Frankfurter Rundschau
Ein Dichter ohne Gedichte: Vor zweihundert Jahren wurde Gustave Flaubert geboren.
Ohne Flaubert, heißt es oft, hätte es keinen Marcel Proust und auch keinen James Joyce gegeben. Er soll die moderne Literatur in die Welt gesetzt haben. Mein Verdacht ist: Mehr durch seine Äußerungen über seine Art Literatur zu betrachten und zu schreiben, als durch seine Romane, Erzählungen und Reiseberichte.
Wahrscheinlich hat zu seinem Nachruhm nicht unwesentlich beigetragen, dass er ein Dichter ohne Gedichte war. Victor Hugo zum Beispiel begeisterte noch das Publikum mit Poesie und Prosa gleichermaßen. Flaubert artikulierte den Anspruch, dass die Prosa ebenso strengen Auflagen sich zu beugen hätte wie die Lyrik. Die Wahl eines Adjektives war kein weniger heikler Vorgang als die des richtigen Reimes. Die Musikalität eines Satzes, eines Absatzes, einer Erzählung ja eines Romans war ebenso wichtig wie die Story. Und angesichts der Menge der zu verarbeitenden Laute ungleich schwieriger zu erreichen als bei einem herkömmlichen Gedicht.
„Story“ ist ein Stichwort. In einem Brief an seine Freundin Louise Colet erklärt Flaubert, sein Traum wäre es, einmal einen Roman über Nichts zu schreiben. Einen Roman also, dessen Handlung keine Rolle spielt, der dafür von Metaphern, Klängen, Assoziationen, Strukturen lebt. Ein Musikstück. Er hat diesen Roman nicht geschrieben. Er war in all seinen Büchern auf das Stoffliche angewiesen. Auch auf dessen Konventionalität. Man kann das schon daran sehen, dass er sich immer wieder denselben Stoffen zugewandt hat. Von der „Versuchung des Heiligen Antonius“ gibt es drei Versionen. Die erste entstand im Revolutionsjahr 1848, die letzte erschien 1872. Seine erste „Education sentimentale“ schloss er 1845 ab. An der zweiten Fassung begann er 1864 zu arbeiten. Im November 1869 wurde sie veröffentlicht.