Goldene Palme für Julia Ducournau und „Titane“: Triumph im Chaos
Frankfurter Rundschau
Der französische Beitrag „Titane“, der gewagteste Film des Cannes-Festivals, gewinnt die Goldene Palme – eingerahmt von einer herrlich-absurden Gala.
Auch über eine ausgeplauderte Überraschung kann man sich noch freuen. Ohnehin traute niemand so recht seinen Ohren, als Jury-Präsident Spike Lee am Samstagabend nach einem bizarren Missverständnis den Gewinnerfilm schon gleich zu Beginn der Gala bekanntgab. Am wenigsten wohl die Regisseurin selbst, die Französin Julia Ducournau. Ihr standen die Tränen in den Augen als schließlich zur Gewissheit wurde, was die Moderatorin bis dahin noch verbissen zu überspielen versuchte. Mit ihrem finster-poetischen Genre-Mix „Titane“ gewann Ducournau als erst zweite Frau in der Geschichte des Festivals von Cannes die Goldene Palme. Und zum ersten Mal allein: Ihre Vorgängerin, Jane Campion, hatte sich den Preis 1993 für „Das Piano“ noch mit dem Chinesen Chen Kaige teilen müssen. Umstritten wie kaum ein Film des Festivals, kann es auch kein zweiter mit der verwegenen Kraft von „Titane“ aufnehmen: Verführerisch wie ein schwüler Alptraum folgt er der surrealen Entwicklungsgeschichte einer androgynen Frauenfigur, stählern und gleichwohl zerbrechlich. Eines weiblichen Terminators, zu brutalen Morden fähig, der Sex mit Autos hat, aus dessen Brüsten Motoröl tropft. Und der, als er in die Rolle eines männlichen Opfers schlüpft, die kompromisslos-unschuldige Liebe des Vaters findet. Wer das alles schier unglaublich findet, unterschätzt die Kraft des Kinos: Ducournaus Aneignung des Genres gelingt auf der Basis einfühlsamer Schauspielerführung und formaler Kraft. Und das hat in Cannes schon viele Gewinner hervorgebracht: Luis Buñuel, David Lynch, Quentin Tarantino oder auch Apichatpong Weerasethakul. Der Thailänder wurde nun für sein neues Werk „Memoria“ mit einem großen Jury Preis geehrt: Tilda Swinton spielt darin eine Frau, die einem merkwürdigen Klang nachspürt, den sie in ihrem Innern hört. In Bogotá macht sie die Bekanntschaft einer von Jeanne Balibar gespielten Archäologin, und dann ist es wie immer bei Weerasethakul: Menschliche und kulturgeschichtliche Erinnerungen vermischen sich zu einem metaphysischen Konzert, bei dem auch noch Geister und in diesem Fall vielleicht sogar ein Ufo mitmischen wollen. Einmal sagte uns der Regisseur in einem Interview, dass er selbst häufig Geister in seiner Umgebung spüre, außer wenn er gerade nicht in Asien weile. Das könnte vielleicht erklären, warum es sein südamerikanischer Ausflug nicht ganz mit früheren Arbeiten wie „Uncle Boonmee“ aufnehmen kann.More Related News