Gewalt im Fußball: „Für immer ein schlechtes Jahr“
Frankfurter Rundschau
DFB stellt Studie vor: Tod des 15-jährigen Paul in Frankfurt überschattet Gewaltvorfälle im Amateurfußball
Das abgelaufene Spieljahr war kein gutes im Amateur- und Jugendfußball. „Eine Saison, in der zum ersten Mal jemand ein Leben verloren hat, wird für immer ein schlechtes Jahr bleiben. Der Tod von Paul hat uns zutiefst erschüttert.“ Das sagte DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann bei der Vorstellung der neunten Auflage des vom Deutschen Fußball-Bund zusammengestellten „Lagebilds des Amateurfußballs“. Zimmermann fand es „besonders schockierend“, dass es eine Woche danach erst vor den Spielen Gedenkminuten an Paul und sodann schon wieder Abbrüche wegen Gewaltvorfällen gegeben hatte. Er forderte, der Tod des 15-jährigen Berliner Jungen nach Attacken eines gegnerischen Spielers bei einem internationalen Jugendturnier in Frankfurt müsse zu einem „Wendepunkt“ werden. „Wir alle müssen aufmerksamer und wacher werden und negativen Entwicklungen frühzeitig entgegentreten.“
Die Tendenz verspricht allerdings wenig Hoffnung auf fundamentale Besserung. Die vom Verband am Montag veröffentlichten Zahlen zu Gewalt und Diskriminierung auf Amateurfußballplätzen sind besorgniserregend. Vor allem, wenn man sie mit jenen Statistiken vergleicht, die der DFB vor der Coronakrise erhoben hat. In den Spielzeiten vor der Pandemie war es zu deutlich weniger Spielabbrüchen gekommen als danach, nämlich 672 (Saison 2016/17) und 667 (Saison 2017/18). In der Saison 2022/2023 wurden von 1,23 Millionen erfassten Fußballspielen 961 wegen eines Gewalt- oder Diskriminierungsvorfalls abgebrochen, also fast jedes 1300. Spiel; eine beträchtliche und betrübliche Steigerung gegenüber der Vor-Coronazeit. Gewalttaten oder Diskriminierungen lagen über ein Vielfaches höher, ohne dass Referees die Teams deshalb vorzeitig in die Kabine geschickt hätten. Die Dunkelziffer dürfte zudem enorm sein. Vor allem Aggressionen aus dem Publikum werden von Unparteiischen oft nicht wahrgenommen oder schlicht ignoriert, um die Konzentration beim Wesentlichen auf dem Platz zu belassen.
Mitunter gerät der Einfluss von außen jedoch allzu weit ins Unsachliche. „Im Fußball“, so DFB-Funktionär Zimmermann, „glauben manche Leute, dass sie mit ihren drei Euro Eintritt auch die Berechtigung erworben hätten, auf Anstand und Benehmen verzichten zu dürfen.“ Selbst bei Begegnungen der Sechs- bis Achtjährigen eskalierte es manchmal derart, dass 22 mal vorzeitig Schluss war. Die Acht- bis Zehnjährigen kamen bereits auf 49 Spielabbrüche in der abgelaufenen Saison. „Da reden wir über Erwachsene, die ein Kinderspiel kaputtmachen“, ärgert sich Zimmermann. Auffällig zudem: Während im Seniorenbereich der Männer 537 Spiele abgebrochen werden mussten, waren es bei den Frauen nur fünf.
Die Tübinger Kriminologin Thaya Vester hat im Auftrag des DFB gewaltbedingte Spielabbrüche untersucht. Sie stellt fest: „Wir müssen unermüdlich Fairness vermitteln.“ Grundsätzlich erkennt die Frau vom Fach auch „im gesellschaftlichen Umfeld keine guten Entwicklungen“, die Kriminalitätsrate bei sogenannten Rohheitsdelikten (Körperverletzung und Bedrohung) stieg zuletzt um 13 Prozent. Zahlen, die manches erklären, und doch: „Wir wollen nicht, dass das hingenommen wird im Fußball.“
Einig sind sich die Wissenschaftlerin Vesper und die Berliner Schiedsrichterreferentin Theresa Hoffmann, dass der Blick auf die Betroffenen geschärft werden muss. Dabei wäre es laut der Frankfurter Schiedsrichtervereinigung hilfreich, wenn Sportgerichtsentscheide auch den Unparteiischen grundsätzlich zugänglich gemacht würden. Datenschutzgründe stünden dem bislang entgegen, sagt Ronny Zimmermann, „unsere DFB-Juristen beschäftigen sich aber damit, Wege zu finden, wie Urteile auch den Opfern verlässlich übermittelt werden könnten.“