
Gerhard Richter: Der Bildermacher
Frankfurter Rundschau
Seine Bilder werden weltweit wie Goldstaub gehandelt: Der Künstler, dessen Arbeiten politisch anecken, Rätsel aufgeben, dem Nichts entgegenstreben, feiert seinen 90. Geburtstag.
Kunstmagazine drucken Sonderausgaben. Die Medien veröffentlichen die Grußbotschaft der Kulturstaatsministerin. Große Museen der Bundesrepublik überschlagen sich mit Retrospektiven und Kabinettausstellungen. Gerhard Richter wird 90. Ein Maler aus Deutschland, der alles gemacht hat, was das Vokabular und Instrumentarium der alten Königsdisziplin hergibt. Und der Versuche, alles allzu Vereinfachende und klar zu Deutende durchkreuzt hat.
Vor Tagen noch war er inkognito im Dresdner Albertinum. Richter hat die drei Säle seiner Retrospektive selbst kuratiert. Doch nun, an seinem hohen Festtag, ist er abgetaucht. So wie in den letzten zwei Jahren der Pandemie. Keine Feier, kein Empfang. Es wird geraunt, er sei womöglich mit der Familie in die USA „geflohen“, weit weg von allem Rummel, der ihn anstrengt. Es kostet Kraft, Ruhm und Ehre auszuhalten. Und außerdem die immer gleichen Fragen bei den Pressekonferenzen zu beantworten. Das ist halt so, wenn man seit Jahren das Ranking des Kunstkompasses anführt und die Huldigungen hört. Und auch die immergleichen Vergleiche mit Picasso.
Richters Bilder sind bei Sammlern gefragt wie Goldstaub. Händler und Auktionatoren haben deren Preise in astronomische Sphären getrieben. Und das, obwohl die Motive sich kaum beschreiben lassen, weil sie dem „Nichts“ zustreben. Sie erzählen kaum oder gar nichts mehr. Alles erscheint wie hinter Milchglas, als Farbfetzen. Bunte Vierecke und Streifen deuten nur noch an, was sich nicht mehr auffinden und nicht anfassen lässt: abstrakte Felder, Wolken, Erde, Wasser, Blumen.
Der aus Dresden stammende Wahl-Kölner Gerhard Richter, dem zum Neunzigsten Museen seiner Vaterstadt, ebenso wie die in Düsseldorf, Köln und Berlin Hommagen ausrichten, hat im Laufe einer unvergleichlichen Karriere auch Kriegsflugzeuge gemalt. Wie auch RAF-Terroristen, Nazis und deren hilflose Opfer aus seiner eigenen Dresdner Familie: „Onkel Rudi“, der bei der SS war. Und die psychisch kranke „Tante Marianne“, ermordet im Euthanasieprogramm, an dem Richters erster Schwiegervater Dr. Heinrich Eufinger aus Dresden beteiligt war.
Diese beklemmenden Arbeiten kommunizieren mit denen, in denen er auch das Schöne des Lebens oft wie hinter einen geheimnisvollen Schleier versteckt. Tochter Betty im Teenageralter als rätselhafte Rückenfigur, die Söhne als Babys. Und da ist alltäglich Banales: Stuhl, Tisch, Tür, Fenster. Oder ein welker Strauß gelber Tulpen als Stillleben der Vergänglichkeit. Er malte Kirchenfenster, modern-sakral für den Kölner Dom, dann 2020 fürs saarländische Kloster Tholey. Es ist seine letzte große Arbeit. Kurz darauf erklärt er, Pinsel, Schaber und Rakel beiseite zu legen und nur noch „ein wenig“ zu zeichnen.