![Georges-Arthur Goldschmidt: „Der versperrte Weg“ – Um die Zukunft betrogen](https://www.fr.de/bilder/2021/07/23/90880025/26585800-in-savoyen-in-frankreich-hier-schlittschuhlaeufer-direkt-nach-dem-krieg-finden-die-brueder-goldschmidt-voruebergehend-zuflucht-in-einem-internat-2kQRyxP1IOef.jpg)
Georges-Arthur Goldschmidt: „Der versperrte Weg“ – Um die Zukunft betrogen
Frankfurter Rundschau
„Der versperrte Weg“: Georges-Arthur Goldschmidts Requiem für seinen Bruder
Geschwister sind ihr Leben lang aneinander gebunden. Ihr Verhältnis entscheidet sich meist in der Kindheit. Für Erich beginnt es am 2. Mai 1928 mit einer Kränkung: „Die Stimmen der Eltern klangen anders, oft besorgt oder angespannt. Sie waren nicht mehr ganz für ihn da. Er hörte immer öfter den Vornamen des kleinen Bruders und immer seltener seinen eigenen.“ Der das schreibt, ist jener Konkurrent um die Elternliebe. Er blieb der Kleine, der schon mit seiner bloßen Anwesenheit auch die Wahrnehmung des älteren Bruders beeinflusste. Mit mehr als 90 Jahren hat Georges-Arthur Goldschmidt ein Buch von erschütternder emotionaler Wirkung geschrieben: „Der versperrte Weg“. Warum erzielt der Roman diese Wirkung? Das liegt zuerst am biografischen Hintergrund, an der bürokratisch verfügten Zugehörigkeit der Jungen zum Judentum, was in den Jahren ihrer Kindheit in Europa verhängnisvoll war. Obwohl die Familie bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zum Protestantismus konvertiert war, verlor der Vater im Oktober 1934 seine Stelle als Oberlandesgerichtsrat in Hamburg. Er hatte es „vermieden, den Grund seiner Entlassung irgendwie zu erklären. Von der ,Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums‘ konnte der Junge nichts wissen“, schreibt Goldschmidt. Erich war damals zehn, Jürgen-Arthur, wie sein Geburtsname lautete, sechs Jahre alt. Als Deutscher sah Erich sich, „was hatte er denn mit ,Juden‘ zu tun?“, die Beschimpfungen auf dem Gymnasium schienen ihm unwirklich. Wie fremd ihm selbst lange die Vorstellung war, ein Jude zu sein, hat Georges-Arthur Goldschmidt bereits in früheren Büchern beschrieben, in der Autobiografie „Über die Flüsse“ oder im Roman „Ein Wiederkommen“. Erich erlebt die Fremdbestimmung zuerst daran, wie sein Radius immer kleiner wird, er nicht mehr auf der Bank im Stadtwald sitzen, nicht bei den anderen baden und schon gar nicht Mitglied der HJ werden darf.More Related News