Gelüftet: Die Geheimnisse der Künstler
DW
Von Vermeer bis Richter - viele Maler haben ihre Gemälde übermalt oder verändert. Wie enthüllen Restauratoren heute die Tricks der Künstler?
Die Experten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden staunten nicht schlecht, als sie dem Vermeer-Gemälde "Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster" mit technischem Gerät zu Leibe rückten: Unter einer Malschicht verbarg sich ein feister Liebesgott. Der Maler hatte ihn an die Wand hinter sein unschuldig dreinblickendes Mädchen gemalt. In zweijähriger Arbeit freigelegt, konnte das Ursprungsbild im September einer staunenden Öffentlichkeit präsentiert werden.
Jan Vermeer (1632 - 1675) zählt neben Rembrandt und Rubens zu den bekanntesten Künstlern des Barock. Sein "Brieflesendes Mädchen" galt und gilt als Spitzenwerk des Goldenen Zeitalters zwischen 1600 und 1700, in dem die Niederlande eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Blüte erlebten. Doch mit nur 37 Bildern ist Vermeers Ouevre schmal. Entsprechend groß war die Aufregung, die der Dresdner Sensationsfund in der Kunstwelt auslöste: Die Gemäldegalerie Alte Meister feiert ihn derzeit mit der Schau "Johannes Vermeer - vom Innehalten."
"Nicht immer ist die Freilegung übermalter Bildteile so sinnig wie im Falle Vermeers", sagt Maria Galen, Expertin für moderne Kunst und Galeristin im westfälischen Greven. "Vermeer hat die Figur des Cupido vier Mal verwendet - als 'Bild im Bild'", sagt die Oberkonservatorin des Dresdner Museums, Uta Neidhardt. Recherchen und modernste Laboruntersuchungen hätten zweifelsfrei bestätigt, dass der in Braun- und Ockertönen gemalte Liebesgott erst nach dem Tod des Künstlers von fremder Hand getilgt wurde - und mit ihm Vermeers amouröse Bildaussage. Nicht immer liegt der Fall so klar.
Was die Sache kompliziert macht: Es gibt die verschiedensten Arten von Übermalungen. Immer schon legten Künstler nachträglich Hand an ihre Werke, wie das Kölner Wallraf-Richartz-Museums in diesen Tagen vorführt: In seiner sehenswerten Ausstellung "Entdeckt - Maltechniken von Martini bis Monet" widmet sich ein großes Kapitel solchen künstlerischen Eingriffen: "Malerinnen und Maler haben immer nach dem perfekten Bild gestrebt", sagt Iris Schaefer, die Chefrestauratorin des auf Alte Meister spezialisierten Museums, "so gibt es nur wenige Gemälde, die wirklich komplett Pentimenti-frei sind".
"Pentimenti" - das können Übermalungen sein, Korrekturen in der Linienführung, Veränderungen in Motiv und Farbe. Bis hin zur Zerstörung ganzer Kunstwerke reicht die Palette künstlerischer Eingriffe. Was die Künstler dazu trieb, ihr Werk zu variieren? "Dafür gab es viele Gründe", so Iris Schaefer. Manchmal nagten Zweifel am Selbstwertgefühl der Kunstschaffenden, oft auch veritable Lebenskrisen. Dann wieder hatte Kritik von Betrachtenden, Kunsthändlern oder Kunstkäufern Folgen für das Kunstwerk. Ob aber Pentimenti oder spätere Veränderung von fremder Hand, und sei es, um ein Gemälde neueren Moralvorstellungen anzupassen: "Nicht immer", sagt die Restauratorin Iris Schaefer, "lässt sich beides zweifelsfrei unterscheiden."