Gastkommentar: Diversifizierung als Schlüssel zur Energiesicherheit
DW
In der Energiepolitik muss die Bundesregierung die Versäumnisse der Vergangenheit wieder geradebügeln. Die ersten Schritte dazu sind gemacht. Ein Gastbeitrag von Thomas Matussek.
Die Bundesregierung hat hektische Wochen hinter sich. Die Nordstream-Pipeline, die bereits künstlich am Leben erhalten werden musste, liegt jetzt offiziell als Leiche im Wasser. Im Bestreben der Bundesregierung, die Versorgungssicherheit des Landes in den Griff zu bekommen, wurde Deutschlands größter Gaslieferant Uniper verstaatlicht. Und schließlich haben die jüngsten Reisen von Wirtschaftsminister Habeck und nun vom Bundeskanzler selbst zu einem neuen Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) über die Lieferung von Flüssigerdgas (LNG) geführt. Dieses jüngste in einer Reihe von Abkommen hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können, doch so schnell die Regierung gehandelt hat, so muss sie dennoch weiter an Tempo zulegen, wenn sie den Ereignissen stets voraus sein will.
Deutschland war mit einer bisher noch nicht dagewesenen Energiekrise konfrontiert. Niemand hätte die atemberaubende Geschwindigkeit der Ereignisse im Jahr 2022 vorhersagen können. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass der Grund dafür, dass wir heute Zeugen eines solch weitreichenden Wandels sind, darin liegt, dass wir versuchen, das aufzuholen, was wir lange Zeit versäumt haben.
Rückblickend mag es absurd erscheinen, dass Deutschland lange Zeit fast ausschließlich auf einen einzigen Gaslieferanten angewiesen war. Jeder Klimaexperte wird Ihnen sagen, dass die Zukunft der Energieversorgung in einer breitgefächerten Palette von Brennstoffen liegt und eine Mischung erforderlich ist. Verschiedene Brennstoffe werden für unterschiedliche Industrien geeignet sein: Wasserstoff für die Schwerindustrie, erneuerbarer Strom für den Versorgungssektor und so weiter. Daher ist es seltsam, dass die deutsche Energiepolitik, in dem Maße wie sich diese Technologien und Brennstoffe entwickelt haben, einer Notwendigkeit der Diversifizierung nicht Rechnung getragen hat.
Jetzt liegt die Realität klar auf der Hand: Wir müssen alle möglichen Wege der Energieversorgung erforschen, und Deutschland muss einen großen Lieferanten durch eine Vielzahl von Alternativen ersetzen. Außerdem muss die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur Erreichung des künftigen Ziels von Netto-Null-Emissionen treu bleiben.
In diesem Kontext ist der Umstieg der Regierung auf die LNG-Märkte, im Einklang mit den meisten Ländern Europas, eine heikle Sache. Flüssigerdgas ist sauberer als Erdöl und Kohle; es ist eine kostspielige, aber letztlich praktische Lösung für Deutschlands kurzfristige Versorgungsprobleme, und sie wird in den kommenden Jahren eine sicherere und breiter gefächerte Gasversorgung für das Land sicherstellen. Aufgrund der neuen Übereinkunft mit den VAE, einem zunehmend wichtigen Energielieferanten für den europäischen Markt, wird das staatliche Versorgungsunternehmen Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) dem deutschen Energiekonzern RWE gegen Ende dieses Jahres eine erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern LNG bereitstellen. Dies folgt auf ähnlich bedeutende Verträge, die in diesem Jahr mit Australien, Katar und den USA geschlossen wurden.