
Fußball-WM 2023: Detektivarbeit gegen Kopfverletzungen
DW
In Australien und Neuseeland werden erstmals bei einer Frauenfußball-WM "Gehirnerschütterungs-Detektive" eingesetzt. Das Risiko, sich Kopfverletzungen zuzuziehen, ist für Frauen möglicherweise größer ist als für Männer.
Alex Greenwood wollte weiterspielen, na klar. Schließlich ging es Anfang April im Wembleystadion um den erstmals ausgespielten Titel im "Women's Finalissima": Europameister England spielte gegen Südamerikameister Brasilien. In der 73. Minute schlug Abwehrstar Greenwood nach einem Zweikampf mit der Brasilianerin Geyse mit dem Kopf hart auf dem Rasen auf, musste minutenlang behandelt werden - und spielte weiter. Im Elfmeterschießen, das entscheiden musste, traf Greenwood und jubelte am Ende mit den "Lionesses" über den Titel.
Einen Tag später verließ sie das Nationalteam, offiziell wegen Kniebeschwerden, inoffiziell, weil sie nach dem Vorfall geschont werden sollte. Expertinnen und Experten kritisierten in scharfer Form, dass Greenwood trotz Verdachts auf eine Gehirnerschütterung weitergespielt hatte. Geht es nach dem Willen des Fußball-Weltverbands FIFA, wird sich ein solcher Vorfall bei der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) nicht wiederholen.
Erstmals bei einer Frauen-WM setzt die FIFA sogenannte "concussion spotters" ein. Diese "Gehirnerschütterungs-Detektive" verfolgen die WM-Partien am Bildschirm und haben auch die Möglichkeit, sich bestimmte Szenen noch einmal in Zeitlupe anzusehen. Denken die von der FIFA beauftragten Sportmediziner, eine Spielerin könnte sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen haben, schlagen sie Alarm und informieren die Teamärzte der beteiligten Mannschaften. Die Premiere dieser "Detektive" bei der WM der Männer Ende 2022 in Katar sei ein Erfolg gewesen, "da die FIFA positives Feedback von den teilnehmenden Mitgliedsverbänden erhielt", antwortete der Weltverband auf eine Anfrage der DW. "Generell hat die FIFA das Thema Hirnverletzungen im Fußball zu einem der Hauptziele ihrer medizinischen Abteilung gemacht."
Auch in Katar hatte es einen Fall wie jenen von Alex Greenwood gegeben: Im ersten WM-Spiel Irans gegen England (2:6) hatte Torwart Alireza Beiranvand zunächst weitergespielt, obwohl er nach einem heftigen Zusammenprall mit einem Teamkollegen aus der Nase geblutet hatte und minutenlang behandelt worden war. Wenig später wurde Beiranvand dann doch ausgewechselt und ins Krankenhaus eingeliefert. Dem Vernehmen nach hatte der "concussion spotter" der FIFA interveniert. In den Tagen nach dem Spiel forderte der Weltverband nach Medienberichten das iranische Team dringend auf, künftig das FIFA-Behandlungsprotokoll für Kopfverletzungen einzuhalten. Danach hätte Beiranvand sofort vom Platz genommen werden müssen.
"Gehirnerschütterungs-Detektive" sind keine Idee der FIFA. Vielmehr ist der Weltverband mit deren Einsatz im Vergleich zu anderen Kontaktsportarten sogar eher spät dran. So hatte die American-Football-Liga NFL bereits in der Saison 2012 damit begonnen, mit Blick auf mögliche Kopfverletzungen alle Spiele von unabhängigen Sportmedizinern überwachen zu lassen. Seit 2015 dürfen sie Partien unterbrechen, seit 2016 sind sogar zwei Experten pro Spiel im Einsatz. Im Durchschnitt melden die "Detektive" zwei Verdachtsfälle auf Kopf- oder Nackenverletzungen je Partie.