
Fotografie im Städel: Auf, unter nah: Das Zeitalter der Perspektiven
Frankfurter Rundschau
Das Frankfurter Städel zeigt die verblüffend originelle Fotografie der 20er und 30er Jahre.
Im ersten Moment irritiert die Größe, genauer die fehlende Größe der Bilder. Bei Fotografie-Ausstellungen rechnet man ja immer mit opulenten Abzügen. Doch die Aufnahmen, die derzeit das Frankfurter Städel Museum unter dem Titel „Neu sehen. Die Fotografie der 20er und 30er Jahre“ ausstellt, sind fast durchweg kleinformatig abgezogen. Man muss nah herangehen, was der Betrachtung etwas Intimes verleiht. In sieben Kapiteln werden hier wesentliche Aspekte der künstlerischen Fotografie einer Zeit vorgestellt, die äußerst kreativ und innovativ war. Darunter Themenbereiche wie Pflanzen, Werbung, Industriefotografie und Propaganda. Dank verbesserter technischer Entwicklungen erlebte die Fotografie gegen Ende der Weimarer Republik einen enormen Aufschwung. Die Menschen waren hungrig auf Bilder und neue Blickwinkel. Die Erfindung der Kleinbildkamera, lichtstarke Objektive und portable Blitze provozierten eine neue, dynamischere Art des Sehens mit ungewohnten Perspektiven. Dramatische Auf-, Unter- und Nahsichten spiegelten den Fortschrittsoptimismus des neuen technischen Zeitalters genauso wie nüchterne Sachfotografie. Zahlreiche neue Zeitungen und Zeitschriften erschienen, die Werbung boomte. Die mangelnde Größe der Bilder mag damit zusammenhängen, dass sie, obwohl sie einen künstlerischen Anspruch hatten, teilweise zu Studienzwecken entstanden – darauf deuten etwa die 1928 entstandene Aufnahme fliegender Würfel von Anton Stankowski hin oder die „Wasserexperimente“, die Hannelore Ziegler um 1935 durchführte. Die Bewegung fließenden oder spritzenden Wassers ist hier auf spektakuläre Weise eingefroren. Und natürlich entstanden zahlreiche Aufnahmen im Hinblick auf einen Nutzer und nicht auf einen Ausstellungskontext, etwa zur Dokumentation von Forschungsergebnissen oder als Illustration in populärwissenschaftlichen Sachbüchern, die in den zwanziger Jahren en vogue waren. Vor allem Mikro- und Makroaufnahmen waren beliebt und dienten als Vorbilder für die Produktgestaltung. So sehen die Springkrautstängel, die Karl Blossfeldt 1928 fotografierte, aus wie elegante Zaun-Elemente.More Related News