Folkwang feiert 100. Geburtstag – Wie Mona Lise nach Essen kam
Frankfurter Rundschau
Das Folkwang Museum feiert seinen 100. Geburtstag mit einer großen Impressionismus-Schau – und auch wir starren sommersüchtig auf Auguste Renoirs ikonenhaftes Bild seiner damaligen Geliebten.
Lise, die Tochter des Postmeisters Tréhot aus dem nordfranzösischen Ecquevilly, wusste nichts von der nordrhein-westfälischen Stadt Essen im Ruhrgebiet. Wie hätte sie, 1867 als Landei neu in der Pariser Bohème und im Atelier des aus Limoges stammenden Auguste Renoir stundenlang Modell stehend, auch ahnen können, dass ihr lebenspralles Ganzkörperporträt eines Tages ausgerechnet in Essen den liebevollen Spitznamen „Mona Lise“ bekommen würde? Als Impressionismus-Ikone des Museums Folkwang. Und wohl auch als selbstbewusster Altmeister-Moderne-Vergleich der stolzen Essener Kulturbürgerschaft mit Leonardos rätselvoller „Mona Lisa“ im Pariser Louvre.
Lise hat im Museum, inzwischen durch einen Glas-Stahl-Stein-Bau von David Chipperfield erweitert, eine Wand für sich allein. Die ländliche Schönheit mit den vollen Wangen war für Renoir nicht bloß ein geduldiges Modell. Sie war auch von 1865 bis 1872 die so anstrengende wie aufregende Geliebte des später dann weltberühmten Malers. Unbestätigten Angaben zufolge soll sie sogar zwei uneheliche Kinder von ihm bekommen haben.
Genau dieses Bild zählt zu Renoirs frühimpressionistischen Hauptwerken. Da war Lise Tréhot 26, für die Zeit nicht mehr blutjung und auch nicht umwerfend attraktiv, nicht rätselhaft exotisch. Ja, sie wirkt nicht einmal verführerisch oder gar lasziv. Bei ihrem Anblick aber ist es, als rieche man frische Luft, grünes Blattwerk, Baumrinde, Erde und Gras.
Die ganze Gestalt der Frau, die Accessoires, der Baumstamm mit der kruden Rinde und das wilde Buschwerk im Hintergrund bilden ein Stück freier Natur. Und das Ganze bei natürlichem Licht. Um das Porträt der Gefährtin allein, so scheint es, war es Renoir gar nicht gegangen. Es ist das Kleid, in der fürs Malen durchaus heiklen Farbe Weiß, die er meisterhaft beherrschte. Und ebenso die rosa schimmernde Haut, die bläulichen und grünlichen Faltungen, die Konturen, der ornamentierte Sonnenschirm in seinem Stilmix aus Chinoiserie-Quaste und schwarzer Chantilly-Tüllspitze, so typisch für das Second Empire. Dazu der Schleifengürtel, tiefschwarz als starker Kontrast um den wohlgeformten Körper. Der ist nicht direkt mollig, aber auch nicht mager wie bei den ätherischen Frauen der feinen Pariser Gesellschaft.
Diese Frische und Natürlichkeit fiel auf in den Pariser Salons, zwischen all den teils noch akademischen Ölschinken mit dekadenten Boudoir-Szenen, den kanonisierten, idealen klassizistischen Figuren von Ingres, den erdig-realistischen Landmotiven der „Schule von Barbizon“. Renoir malte etwas Neues. Da stand er an der Seite seiner als Impressionisten beschimpften Kollegen, die weg von der parfümierten Dekadenz und hin zur frischen Natur längst „Pleinair“, also draußen malten. Und zwar mit den neuartigen, fertigen, transportablen Ölfarben in Tuben aus den Läden des Künstlerbedarfs. Das Parfümierte, Elaborierte, auch das mystisch Schattenseitige, war Renoirs Sache nicht, selbst wenn im Portemonnaie Leere gähnte. Bei diesem Maler schien die Sonne auf die Milchhaut seiner Modelle. Und sie scheint noch immer: als Hymne auf die Weiblichkeit, auf die Natur. Und vor allem auf seine Malerei.