Flug-Chaos: Wie stehts um die Luftfahrt-Branche?
DW
Die Urlaubszeit startet in Deutschland - aber für viele fängt die Reise an den Traumstand mit einer Menge Frust an den Flughäfen an. Ein Blick auf die Branche kurz vor Beginn der Luftfahrtschau ILA.
Der Reiseverkehr im Mai und den ersten Wochen des Juni hat eine Vorahnung gegeben, wie es im Sommer an Europas Flughäfen aussehen könnte. Passagiere werden in den kommenden Wochen vor allem eines brauchen: Geduld. Denn an den deutschen Flughäfen werden die Warteschlangen vor den Abfertigungen immer länger. Der wesentliche Grund: Personalmangel bei den Dienstleistern - seien es die Sicherheitskräfte oder die Mitarbeiter auf dem Vorfeld, die das Gepäck in die Flugzeuge laden oder diese entladen. Gerade erst verkündete der Billigflieger Easyjet, in den kommenden Wochen wegen Personalmangels Tausende Flüge zu streichen.
Während der Pandemie haben viele Dienstleister Mitarbeiter entlassen, die sich inzwischen häufig besser bezahlte Jobs gesucht haben. Und wenn sie zurückkehren möchten, dann müssen sie zunächst eine langwierige Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, sagt Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV. Aktuell fehle etwa ein Fünftel des operativen Personals an den Flughäfen, deshalb fordert er eine beschleunigte Prüfung, damit diese Mitarbeiter schneller eingestellt werden könnten: "Eine Sicherheitsüberprüfung kann nicht acht Wochen dauern, dann ist nämlich die Sommerferienzeit schon wieder vorbei."
An Personal fehlt es aber nicht nur am Boden. Auch in der Luft gibt es Engpässe. Lufthansa etwa muss für den Juli hunderte Flüge streichen, weil es an Bordpersonal fehlt. Die Gewerkschaften fühlen sich bestätigt: "Dass der radikale Stellenabbau in vielen Bereichen der Luftfahrt sich bei der Erholung negativ auswirken würde, war seit langem klar", meint der Präsident der Pilotenvereinigung Cockpit, Stefan Herth. Schnell genügend Piloten zu finden ist jedoch nicht leicht - und das gilt weltweit. In den USA würden derzeit Piloten im Regionalverkehr zu Konditionen eingestellt, die besser seien als die, die zuvor als Maximum galten, sagt Heinrich Großbongardt, Luftfahrtexperte aus Hamburg.
Die Macht der Arbeitnehmer steigt also. In Deutschland könnte sogar ein Pilotenstreik bei der Lufthansa drohen, weil das Management in der Kerngesellschaft mit weniger Jets fliegen und stattdessen mehr Verkehr in die günstigere Tochter Eurowings verlagern will. Denn Lufthansa muss Kosten sparen. Die Airline hat in der Coronapandemie stark gelitten und möchte sich nun neu aufstellen. Gleichzeitig aber will man die Passagiere schnell wieder bedienen. Doch das wird eben schwierig: "Ich habe mich schon in den letzten Wochen mehrfach bei unseren Kunden entschuldigen müssen, und ich befürchte, ich werde es auch im Sommer das ein oder andere Mal noch tun müssen", gestand Lufthansa-Chef Carsten Spohr schon im Mai ein.
Es gibt noch weitere Probleme: Die Treibstoffpreise haben wegen des Ukraine-Krieges stark angezogen. Der russische Luftraum ist gesperrt - deshalb müssen die Flugzeuge, die nach Fernost fliegen, teure Umwege in Kauf nehmen. Hohe Kosten also, die einige Fluggesellschaften in Bedrängnis bringen dürften, sagt Luftfahrtexperte Großbongardt, der auch mit einigen Pleiten rechnet - etwa von kleineren nationalen Fluggesellschaften, die vor allem staatlich unterstützt werden, die aber nicht wirklich rentabel fliegen können. Die dürften auch keine Zuflucht bei den großen Netzwerkcarriern wie Lufthansa, der British Airways-Mutter IAG oder Air France/KLM finden. Stattdessen interessiert sich etwa die Lufthansa für Fluggesellschaften wie die Alitalia-Nachfolgerin ITA Airways. Auch die schwedische Fluggesellschaft SAS könnte bald zu den Übernahmekandidaten gehören, vermutet Großbongardt.