Finden EU und Mercosur doch noch zusammen?
DW
Der Widerstand gegen ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Mercosur-Staaten ist groß. Die Sorge der Europäer um ihre Versorgungssicherheit in Folge des Ukraine-Krieges auch. Das führt zu einer neuen Dynamik.
Nach über zwei Jahrzehnten Verhandlungen ist aus dem Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur eine Art Glaubenskrieg geworden. Bis vor zwei Wochen schien das Abkommen aufgrund der Bedenken der Europäer insbesondere wegen der Abholzung im Amazonas-Regenwald politisch nicht durchsetzbar. Zu groß der Widerstand von Nichtregierungsorganisationen: Das Projekt liegt auf Eis.
Trotzdem kommt hinter den Kulissen nun Bewegung in die Angelegenheit. Das liegt vor allem an den wachsenden Sorgen der Europäer um ihre Versorgungssicherheit in den Bereichen Energie, Rohstoffe und Lebensmittel. Störungen in den globalen Lieferketten sowie hohe Logistikkosten während der Corona-Pandemie; dazu eine sich dramatisch veränderte geopolitische Lage durch den russischen Einmarsch in die Ukraine sorgen dafür, dass in den Büros in Brüssel und Berlin die Vertragsvorlage wieder hervorgeholt wird.
Aus dem Auswärtigem Amt in Berlin heißt es auf Anfrage der DW dazu: "Deutschland hat den Abschluss eines ambitionierten EU-Mercosur-Abkommens aus geostrategischen, ökonomischen, außen- und nachhaltigkeitspolitischen Gründen befürwortet." Berlin zeige sich in Absprache mit Brüssel kooperationsbereit, wenn die südamerikanischen Partnerländer sich ihrerseits bewegen: "Laut Koalitionsvertrag setzt sich die Bundesregierung dann für die Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens ein, wenn zuvor von Seiten der Partnerländer umsetzbare und überprüfbare, rechtlich verbindliche Verpflichtungen zum Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsschutz eingegangen werden und praktisch durchsetzbare Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen abgeschlossen worden sind." Dazu stehe man auch in Kontakt mit der zuständigen EU-Kommission und den Mercosur-Partnerländern.
Vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hieß es: "Die Bundesregierung muss im Rahmen ihrer G7-Präsidentschaft ein entschlossenes Signal für Marktöffnungen und Multilateralismus senden. Deutschland sollte sich für den Abschluss von Handelsabkommen, etwa mit den Mercosur-Staaten oder Australien, und die Reform der Welthandelsorganisation WTO stark machen", so BDI-Hauptgeschäftsführer, Joachim Lang, auf Anfrage der DW.
In den Schlüsselländern dieses Abkommens stehen nun politische Weichenstellungen bevor oder sind bereits vollzogen. In Deutschland wird die neue Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik und ehemalige Chefin von Greenpeace International, Jennifer Morgan, beweisen müssen, dass sie die ambitionierten Klimaziele der neuen Bundesregierung mit den Interessen der deutschen Wirtschaft im Außenhandel verbinden kann. Eine inhaltliche Neuausrichtung des in den Schubladen verschwundenen EU-Mercosur-Freihandelsabkommens könnte aus diesem Blickwinkel Modellcharakter bekommen und für Morgan eine Bewährungschance werden.