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Fehlendes Problembewusstsein für Antisemitismus in Indonesien
DW
Die antisemitische Bildersprache indonesischer Künstler, die die Documenta erschütterte, beruhe auf mangelnder Sensibilität und Unkenntnis, sagen Experten.
Ein paar Tage hatte das Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa der documenta 15 gebraucht, um auf den Skandal zu reagieren, den die antisemitischen Motive auf dem großformatigen Wimmelbild "People's Justice" der Künstlergruppe Taring Padi hervorgerufen hatte. Am vergangenen Donnerstag stellte Ruangrupa, zunächst nur auf Englisch, eine Erklärung ins Netz. Dort heißt es unter anderem: "Die Wahrheit ist, dass wir es gemeinsam versäumt haben, die Figur (Singular hier und weiter im Original – Red.) in dem Werk zu erkennen, die an klassische Stereotypen des Antisemitismus erinnert. Wir räumen ein, dass dies unser Fehler war. In Absprache mit Taring Padi unterstützen wir die Entscheidung, das Werk in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Werten (des Künstlerkollektivs) zu entfernen".
Zur Erinnerung: Das zunächst verhüllte, dann entfernte Bild von Taring Padi zeigt unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht und Davidstern, der auf dem Kopf einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" trägt. Ebenfalls zu sehen ist ein Mann mit blutunterlaufenen Augen und Vampirgebiss und Haartracht im Stil orthodoxer Juden, auf dessen Hut SS-Runen prangen.
Die Kuratoren und das künstlerische Team entschuldigen sich "für (die Gefühle von) Enttäuschung, Scham, Frustration, Verrat und den Schock", den die antisemitischen Motive "bei Betrachtern und dem ganzen Team" ausgelöst haben.
Die Kuratoren, und mitgemeint die Künstler, deuten in ihrer Erklärung an, sich über die Tradition des deutschen Antisemitismus einschließlich seiner mit demagogischer Bildsymbolik vorangetriebenen Propaganda nicht hinreichend informiert zu haben: "Diese Bildersprache knüpft, wie wir jetzt wissen, nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verfolgt und ermordet wurden … Deshalb werden wir diese Gelegenheit wahrnehmen, um uns tiefere Kenntnisse über die grauenhafte Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus anzueignen."
Der an der Universität Bonn lehrende Südostasienwissenschaftler Timo Duile verweist im DW-Interview auf die spezifischen Umstände, unter denen sich die linken Bewegungen verbundenen Künstler in Indonesien artikulierten. Duile verweist auf das Schlüsseljahr 1965. Damals hatte der General Suharto einen kommunistisch inspirierten Putschversuch indonesischer Militärs niederschlagen lassen; Im Zuge einer darauf folgenden "Säuberungsaktion" wurden bis zu einer Million tatsächliche oder angebliche Kommunisten ermordet. Suharto regierte gestützt auf sein System der sogenannten "Neuen Ordnung" diktatorisch bis 1998. In der Erklärung von Ruangrupa heißt es, "das im Kollektiv hergestellte Bild bezieht sich auf die dunkle Geschichte Indonesiens unter der Neuen Ordnung, die juristisch und gesellschaftlich nicht aufgearbeitet wurde."